Goethe
sauber und zäh je nach überzeugtem Blick auf das Phänomen vor seinem Aug' im Glase. »Hingegen wird Samenbehältnis in der Mitte nicht zusammengezogen, ordnen sich Zeugungsteile daran und darum nicht an, sondern geht der Stiel in seiner Vertikale weiter, halb rötlich, halb grünlich, und kleine, dunkelrote, gefaltete Kronenblätter entwickeln sich an ihm; einige tragen Spuren von Antheren. Weiter oben entstehen Dornen; noch weiter aufwärts gehen die Blättchen in halb rot, halb grün gefärbte Stempelblätter über, und aus den Augen regelmäßig gebildeter Knoten wachsen Rosenknöspchen (unvollkommen).«
Plötzlich, wie befohlen, fuhr er auf. Kein Zweifel! Hatte die Entdeckung des Zwischenkiefers die sichere Ahnung davon eingeflößt, daß die erschaffende Gewalt die vollkommenen organischen Naturen nach einem allgemeinen Schema erzeugt und entwickelt habe, und daß das Urbild dieser Naturen, wenn auch nicht den Sinnen, so doch wenigstens dem Geiste dargestellt werden könne, – die folgeeifrig fortgesetzte Betrachtung der Körperbestandteile der Pflanze ließ eine ähnliche Ahnung für die Genesis der Pflanzenwelt durchschimmern! Aber! Entsprach dieser Trieb des Menschengehirns, die Unzahl der verschiedenen Naturerscheinungen unter eine bequem geringe Anzahl von Schöpfungs-Grundgesetzen zu bringen, auch dem Wesen der Natur, das, vielleicht, gar kein Bedürfnis nach zentralen Gesetzen hat? Sagte nicht jemand: » Schwärmer streben nach Einheit?«
Zerrissen ließ er sich wieder nieder. Lehnte sich, den blauen Morgenhimmel vor dem unheimlich hagern Gesichte, tief in den Sessel zurück. »Oder habe ich selber das gesagt?« Mit aller Gewalt sich dazu zwingend, den Dampf, der in ihm bohrte, nur zur Erträglichkeit zurückzuzähmen, begann er, auf ein sauberes Weißblatt die Rose zu zeichnen; Zeichnen bändigte gewöhnlich. Aber der Einfall vom »Schwärmer« saß zu tief im Hirn. War der »Schwärmer« am Ende nur der Künstler? Und durfte also nur der Künstler nach Zentren streben? Wenn man aber zur Einsicht kam, daß man keiner war, – ratsch! ging ein Strich daneben – durfte man dann trotzdem, der Natur gegenüber, die Methode des Künstlers anwenden, weil man eine andere nicht besaß? »Gesetzt den Fall, die Natur beschaut meine Art, in sie einzudringen, erinnert sich meiner oft geoffenbarten Maxime: keine Wissenschaft sollte ohne Kunst getrieben werden! und lacht, daß ihr die Tränen über die bäurischen Wangen laufen: Dilettantismus?«
Mit spöttischem Blick, gewappnet auf noch ein Heer von Feinden, betrachtete er die Zeichnung und die Rose. »Wie aber,« – mißhandelt knarrte der Stuhl – »wenn es auch für den Künstler – also überhaupt – Irrtum wäre, nach Einheit zu streben? Jede Sehnsucht nach Architektonik, nach organischem Aufbau – nach Pyramide! – nur Wahn wäre, der des Lebens wahren Instinkt: wahllos zu ergreifen, was willkürlich nebeneinander da ist, zu kurz kommen läßt?« Vielleicht hatte er die unselige Pedanterie der Zentripetition nur vom Vater geerbt, und wäre es viel naturrichtiger, nebeneinander Dichter, Naturforscher, Staatsmann, Beamter, Philister, Liebhaber, Asket, Griechenfreund und Deutscher, und in jeder dieser Eigenschaften nur Feststeller und Genießer zu sein? Ohne den hierarchischen Sinn, der immer eine dieser Eigenschaften und Tätigkeiten allen anderen überzuordnen strebte und diese Überordnung aus der Absicht des proportionierten Baus vollzog? Wenn aber »Ja«, – war dann die ganze Quälerei dieser Tage, dieses hartnäckige Sichzwingen, vor den neuen Anfang einen Abschluß zu setzen, nicht Hekuba? Überhaupt aber! »Früher, vor ein paar Jahren noch, haben mich solche philosophische Spintisierereien nie geplagt! War ich unbewußt, naiv, ließ mich seelenruhig treiben von mir selber, – und mit Erfolg! Und jetzt auf einmal bin ich – der Grübler!«
» Marce, sancte Marce! « flog in diesem Augenblick ein Strauß blühender Stimmen von der Straße herauf in die Stube. » Evangelista! Veni, benedicte, ut gratulemur! «
Weiß wie die Wand im Gesicht, floh er in die tiefste Tiefe der Stube zurück. Der Geburtstag!
Aber die Stimmen, nur noch üppiger, kamen wieder und wieder. »Tierfreund! Ein Papagei, allerlieblichster Papagei ist da! Höre ihn plappern!« Der Papagei plapperte: » Epops maxime! Freundsinsulaner!« Und nun brüllender Chor: »Frühstück wollen wir haben! Heraus mit der Wirtschaft, Versteckter! Dein Hals wird
Weitere Kostenlose Bücher