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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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sich schon aus, was der Papa mitbringen wird, was Papa erzählen wird, was Papa . . . .«
    »O! Sie haben auch einen Sohn! Sagen Sie! Sagen Sie!«
    »Nein. Nur ein – Pflegekind, gewissermaßen.«
    »Aber Ihre Eltern leben noch?«
    »Meine Mutter.«
    »Beneidenswerte Mutter! Ja!« Und im Überschwang seiner Rührung, gewaltsam, klopfte der Alte mit dem Stock das Pflaster. »Das weiß ich, das fühle ich! Sie müssen ein musterhafter Sohn sein!« Und habgierig, sehnsüchtig, ganz, ganz enge schmiegte er sich an den Jungen, dessen Miene er jetzt nicht sah. »Das beweist jedes Wort, das Sie reden! Die unbeschreiblich gütige Art, in der Sie mit mir umgehen!« Wie verwandelt schritt er jetzt aufrecht. Und wie blitzte das Auge. »Niemand ahnt doch, wie allein ich mich hier fühle. Der Wirt betrügt mich. Der Bediente betrügt mich. Jeder Mensch, mit dem ich zu tun habe, betrügt mich. Wohin ich komme, lacht man mich aus. Zeigt mir jemand etwas? Hilft mir irgendwer? Schadenfreude ringsum, wenn man sieht, daß ich leide. Und das ist Venedig! Sagen Sie nur, gestehen Sie nur,« – leidenschaftlich blieb er stehen – »was hätte ich hier getan, wenn ich Sie nicht gefunden hätte! Sie allein, – ein wildfremder Mensch . . . . .«
    »Es gibt keine wildfremden Menschen!«
    Mund offen sah ihn der Alte an; sie standen just vor der Markuskirche.
    »Immerhin, – Sie kannten mich nicht, ich kannte Sie nicht . . .«
    »Mensch ist Mensch!« Plötzlich, wild aufschießend wie eine Riesenfontäne, die den Pfropfen aus dem Rohr knallt, stieg Goethen die Liebe aus dem jauchzenden Herzen. »Jeder Mensch, da und dort, überall – immer! – ist nichts anderes, als jeder andere! In unserem Fall aber: Sie waren es doch, der mir so unwiderstehlich entgegenkam.«
    Salzsäule ward der Alte. » Ich?? «
    »Mit Ihrer vornehmen, väterlichen, reizenden Art. Ja! War ich nicht auch allein? Kam ich nicht auch von zu Hause? Hatte ich nicht dieselbe beschwerliche Arbeit wie Sie: die unbekannte Welt zu durchstreifen, die nichts von mir wußte?« Und wie da der Alte in einem magischen Schleier, den er nicht zu durchstoßen vermochte, in einem Traum, der vom erblichenen Gold der Mosaiken, vom Purpur der Dämmerung und vom Samtblau des Himmels her seine Augen und seinen Sinn betäubte, nur noch verblüffter dreinblickte, seine Finger noch zärtlicher in das Manteltuch preßte, fuhr er ergriffen fort: »Ich glaube, daß Sie zu jener Sorte Menschen gehören, die niemals Anderen Übles antun, aber zu demütig sind, als daß sie ihr Recht darauf empfänden, von diesen Anderen Gutes zu empfangen. So gehen Sie als ein Freund der Menschen durch die Welt, ohne zu wissen, daß diese Freundschaft einzig und allein Ihr Verdienst ist. – Aber friert Sie nicht? Sollen wir nicht lieber nach Hause . . . . . . ?«
    »Nein! Um Gotteswillen! Nein!«
    »Dann« – Goethe drehte um, nahm Monsieur an die Rechte und strebte stracks von der Kirche fort – dann müsse Herr Villet doch nun endlich die Gnade haben, zu berichten, was der heutige Tag ihm gebracht habe. Ja?
    Aber Monsieur Villet spazierte am Arm von Monsieur Möller noch einigemale zwischen dem Portal von San Marco und dem von San Geminiano auf und nieder und redete immer noch nicht. Das Licht des Abends über den Wänden des Platzes war nun verglommen. Die letzte Lampe im Helm des Campanile erloschen. In toter Länge, blaß und gliederlos stand der Turm. Wachsend mit Finsternis füllten sich die Bogengänge. Wo eine Gasse sich auftat, lockten plötzlich Funken, die jäh aufblitzten und gleich wieder versanken. Lärm, der nahe schien und gleich wieder ferne war, schaukelte wispernd durchs Dunkle. Bettler, Krüppel, Mönche, Courtisanen, alle scheinbar in Masken und, ob sie auch nicht zusammen auftraten, doch wie in einem wahnhaft gebundenen Drama zusammengehörten, stelzten lautlos durch die Schatten herein in die Mitte, ein Lächeln flüsterte in dieses, eine heisere Drohung stieß sich ins andere Ohr, nun – »hören Sie's nicht?« – schrie aus dem bühnendunklen Hintergrund des Dogenpalastes ein Schrei, es war, als ob ein Dolch in der Seide eines Tabarro aufflammte und eine Welle draußen im Fluß des Kanals, – und jetzt, wie auf ein Stichwort, ertönten die Glocken. Von San Marco, von San Bernardo, vom Redentore, von den Gesuati, von Santa Maria del Rosario, von San Battista, von San Domenico, von der Salute, von Santa Barbara, – jäh blieb der Franzose stehen. Gottseidank! Die

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