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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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der Welt zu Venedig macht! Der Pfahlbau? Die Markuskirche? Paolo Veronese? Der Palazzo ducale? Oder? – Ich finde es nicht!« Mit ratlos ausgebreiteten Armen blieb er stehen vor Goethen. »Helfen Sie mir! Sagen Sie mir's!«
    »Ich weiß es auch nicht.«
    »Sie wissen es genau!«
    »Ich tue gar nichts anderes als: schauen, schauen, schauen, – und noch einmal schauen.« Helle des Himmels in Goethes Brust. Lange, lange Jahre nicht mehr war es geschehen, daß ihn ein ganz und gar einfacher Mensch so zum atmenden Bewußtsein der Sicherheit seiner selbst gebracht hatte. »Ich glaube nur, daß Sie sich umsonst quälen.«
    »Aber Sie sich doch noch viel mehr!«
    Geradezu liebkosend lächelte Goethe. »Aber Monsieur! Ich genieße!«
    »Das sagen Sie nur!«
    »Tag und Nacht! Nur genießen!«
    Als ob ihn derselbe Mann, der ihn soeben erst zum betäubenden Gefühl der Brüderlichkeit aller Menschen emporgetragen hatte, nun höhnisch in die Einsamkeit seines verlassenen Selbst zurückgestoßen hätte, zog der Alte, auffahrend, den Arm aus Goethes Arm. »Ich sehe das gerade Gegenteil. Sie gehen von früh morgens bis spät abends ohne Unterlaß umher. Heute sind Sie beim Dogenaufzug, morgen vor der Familie des Darius, vormittags in der Scuola San Rocco, nachmittags am Lido; dann lesen Sie im Palladio, dann hören Sie die Mädchen in der Mendikantenkirche singen, dann geht's in die Komödie, dann machen Sie zum hundertsten Mal eine Gondelfahrt, . . . . . . nein, mein Lieber! Das ist nicht Ihre Jugend allein, die es machte daß Sie das leisten können. Sondern das System, mit dem Sie die Dinge betrachten. Sie haben ein System!«
    »Ich habe nicht die Ahnung von einem System!«
    »Doch! Sie haben eines!« Und hitzig wurde Monsieur jetzt. Sah unerbittlich empor in das strahlende Angesicht des Jungen. »Und ich lasse Sie nicht los, bevor Sie es mir preisgeben! Ich muß es haben! Ich gehe nicht fort, ohne es zu kennen. Was?« Einen verwegenen Atemzug tat er. In wirbelige Bewegung geriet der schwanke Körper. »Keines haben will er! Das ist ausgezeichnet!« Wie wäre denn Monsieur Möller, zum Beispiel, ohne System, das das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Vollkommene vom Unvollkommenen, das Wahre vom Falschen unterscheidet, darauf gekommen, diese Kirche, dieses Paradigma aller Venedigbesucher, – ohnmächtig zitternd wies das Stäbchen auf die Fassade von San Marco – diese Moschee da, – »ja! es ist eine Moschee!« – überhaupt nicht zu sehen? »Einen Taschenkrebs haben Sie sie neulich kurzerhand genannt! Und ich – studiere Tag für Tag jedes Mosaik, jeden Bogen, jede Tür, jede Säule daran und darin und meine, ich müßte sie schön finden!«
    »Aber deshalb, weil ich sie nicht schön finde, kann sie doch . . . . . .«
    »Gewiß kann sie! Aber ich wäre, ohne Sie, niemals darauf gekommen, daß sie auch nicht schön sein kann! Weil ich kein System habe! Es war und ist mir noch heute rätselhaft, was für ein Wunder Sie an der Carità entdeckt haben und warum Sie jenes Stück Balken aus dem Antonintempel im Palazzo Farsetti so närrisch anbeten. Aber ich weiß jetzt, daß Sie dafür genau so viel Grund haben müssen, als ich keinen dafür habe, einen griechischen Tempel für ebenso schön zu halten wie eine altchristliche Basilika oder eine gotische Kirche. Was aber Ihr Grund dafür ist, worin dieser besteht, ja, warum Sie, zum Beispiel, die Gotik verdammen . . . .«
    Entsetzt: »Habe ich das getan?«
    »Und wie! ›Genau so gedankenlos wie unsere gotischen Fratzen!‹ sagten Sie vor drei Tagen, genau hier auf dem Fleck, wo wir stehen, und vor dem Balken schnalzten Sie mit den Fingern und spotteten hämisch über Kragsteinlein, Tabakspfeifensäulen und kauzende Heilige! O, wenn ich an die Kathedralen von Reims, St. Quentin, Amiens, Notre Dame, – an das Münster in Straßbourg denke! Wie ich sie anbetete! Vergötterte! Jede Kreuzblume daran für den Gipfel der Kunst hielt! Dieses Aufstrebende, in die Himmel Aufjauchzende der Spitzbögen und Schäfte liebte!«
    »Ich auch! Einmal!«
    Atemlos: »So?«
    »Gewiß. Zu den heißesten Verehrern der Gotik habe ich gehört. Sogar zu den Bekennern.«
    »Aber warum dann, um Gotteswillen, auf einmal . . . . . ?«
    Achselzuckend: »Man entwickelt sich eben. Wird älter. Lernt klarer sehen, besser vergleichen; und auch richtiger empfinden. Ein sicherer Grad von Geschmack, von Einsicht in die Gesetze der Kunst ergibt sich . . . . .«
    »Gewiß! Einverstanden!

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