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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Was aber sagt nun dieser sicherere Grad von Einsicht gegenüber der Gotik?«
    »Ich mag das Willkürliche nicht,« kam es zögernd von Goethes Lippen.
    »So!« Diabolisch glücklich darüber, nun endlich den Hebel gefunden zu haben, an dem er diesem geheimnisvoll überlegenen Mann zeigen konnte, daß auch er nicht ein Grünling war auf dem Gebiete der Kritik der Kunst, packte er Goethen mit plötzlich kräftigen Händen an den Schultern, als müßte er ihn wachreißen. »Sie meinen: willkürliche Formen, von einer Kunst, die, auch wenn sie nicht schön ist, doch bildet, – weil sie aus einer selbständigen Empfindung wirkt, – zum charakteristischen Ganzen geschaffen? Nicht wahr?«
    Wie vom Blitz betroffen starrte Goethe ihn an.
    »Nicht wahr?« lachte triumphierend und um so gieriger weiterrüttelnd der Franzose.
    »Hören Sie, Monsieur, mir scheint, – nun beliebt es Ihnen zu spotten?«
    Monsieur Villet, spielend, machte sich größer. Volle Luft atmete er schlürfend. Als ob sie niemals gelockt hätte, war die Versuchung, in die jäh aufgezeigte Zone allgemeiner Menschlichkeit überzutauchen, überwunden; dahin. »Ich bin ein kleiner Rentier aus Versailles«, begann er sprühend, von Wort zu Wort wachsend, »dem Herr Kaufmann Möller aus Leipzig das bißchen Dogma, das er in Kunstdingen erworben hatte und glaubte, zerwarf – mit einem Hammer von revolutionären Ideen. Da muß ich mich denn doch – und wäre es auch nur pro forma – zur Wehr setzen.« Und daß es wippend zu singen anhub, stieß er das Stäbchen in den Boden und wiegte sich mit dem Rücken auf ihm. »Die Sache ist so: Von Kindheit an war mir das Gotische das Nächste. Es ist zu dem, daß es mystisch ist, monumental und patriotisch; gallisch! Vor etwa einem dutzend Jahren nun – ich war damals auf ein paar Monate in Straßbourg – kam mir eine kleine Schrift über die Gotik in die Hand. Sie war irgendwo in Deutschland erschienen . . . . .«
    »In Deutschland wird viel gedruckt!« Zwischen Lachen und Weinen platzte Goethe los, der Platz mit den nachtdrohenden Riesengebäuden drehte sich tanzend um ihn im Kreise. »Das Papier ist geduldig!«
    »Versteht sich! Aber Sie kennen doch den Verfasser des ›Werther‹?«
    Wie ein Pferd vor dem endlich errafften Hafersack gewiehert hätte Goethe am liebsten. »Nein!« stammelte er heroisch.
    »Sie kennen« – sperrangelweites Staunen! – »Sie kennen Géth nicht?«
    »Ich . . . kümmere mich nicht um Literatur.«
    Cäsarenstolz, Glanz, dessen strömende Fülle es noch vor zehn Minuten nicht zu träumen gewagt hätte, glomm auf im Auge des Franzosen. Das Gesichtchen, in der Wonne schamlosesten Anstarrens, bekam alle Züge restlos weidender Lust. Aufgepulvert bebte jedes Glied im entfachten Rokokoleib. Monsieur Möller war also doch nur – Monsieur Möller! Ein sektischer Philosophe vielleicht, der, ungerne, mit Käse handelte; aber kein Geschmack, und schon gar kein Esprit! Rauschend, überjäh, triefend von Schadenfreude, stieg die unerwartet erhöhte eigene Person in die Höhe. Diebisches Verächteln kräuselte die Lippen. Die kleine Schrift habe geheißen: ›Von deutscher Baukunst. Dis Manibus Ervini a Steinbach. ‹ »Steinbach war nämlich der Erbauer des Münsters in Straßbourg!« Und nun habe in der Schrift eben klar bewiesen gestanden, daß gerade die Willkür der Formen – und so weiter – und die charakteristische Kunst die einzig wahren seien; und daß daher die Gotik . . . . »und das sagte Géth! Nicht irgend ein Amateur oder Bücherwurm! O!« Mit jünglinghafter Drehung drehte er sich auf den Absatz um, von Alter, Einsamkeit, Furcht, Demut nicht ein Hauch mehr zu spüren; voilà! Er werde, nach Hause zurückgekehrt, Herrn Möller sogleich das Broschürchen schicken. »Aber so sind sie, die Deutschen!« Jauchzendes Lachen; rasender Händedruck; siegreich rasch fertiger Abschied.. »Sie haben, ein jeder, einen Scheffel Ideen . . .«
    »Aber ihren Goethe lesen sie nicht! – O!« stöhnte Goethe übermütig, endlich heil in den nächstbesten Schatten des nächstbesten rivo entronnen, zum Himmel empor, »was für ein armes, gutes Tier ist doch der Mensch!« Und als die Nacht über der ungeheueren. Stille des Wassers in immer höhere Höhe wuchs, in seiner Kammer die Dunkelheit wie um einen saugenden Mittelpunkt sich ballte, lächelte er; lachte er. Wie süß ist es, sogar, die ewige Wahrheit von der Gebundenheit der menschlichen Auswirkung an die vorhandene Kraft zu

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