Goethe
Augenblick wieder, und schaue und schaue und schaue, und je deutlicher ich es wiedererkenne . . . .«
Er brach ab: aus dem Tor kam das Mädel gelaufen. Es trug ein Schaff mit Wäsche vor dem Leibe, strebte, getrieben von der Last, der Stufe zu, die vom Ufer in den rivo hinabstieg, und rief, am Alten vorbei: » Babbo, xè il Sior Enrico. Vol parlarghe. Subit'! «
Genau so schnell wie früher verwandelte sich der Alte. Als ob das Ungeheuer, das in seinem Blut drinnen raste, zerspalten verreckte, hob er erlöst den Kopf, ließ die Augen, die gezwungen dem Mädchen folgten, ganz sanft werden und traurig, tat einen Seufzer, trat aus dem Boot und ging.
Ohne vom Mädchen gesehen zu werden, mit unerbittlich scharf forschendem Blick, setzte sich Goethe in den Holzblock zurück. Das Mädchen hatte die Stufe erreicht, das Schaff in das Ufer gesetzt, sich in die Stufe hinabgekniet. Nun nahm es Stück für Stück aus dem Schaffe, befestigte jedes, die Arme weit übers Wasser reckend, an Holzklappen, die der Reihe nach an einem Seil rivoaufwärts saßen, und legte die Stücke so über den Steinrand, daß sie bis zum Saum im Wasser trieben. Als dies vollendet war, hob sie vom Pfahl im Rücken das Waschbrett, richtete dieses quer vor ihrem Schoße in das Fließende hinaus, holte das Hemde, das ihr am nächsten trieb, heran und begann es, tief darübergebeugt, mit aller Gewalt einzuseifen. Ohne Mühsal bewegte sich der Körper. Leicht traten die Linien und Formen aus dem Rhythmus der Arbeit. Vom lockigen Ansatz des Blondhaars zog der Nacken flaumig hinüber zu den Schultern. Geschmeidig gewölbt schwang der Rücken zu beiden Seiten der Wirbelsäulebuchtung hinab nach den Hüften; hinab nach der fehlerlosen Rundung. Frei gebildet wuchsen die Arme, den Brüsten eng nahe, von den Achseln hinaus in die Hände. Diese, wie die Füße, die mit festen Zehen den Takt des Sichbeugens und Wiederaufrichtens in den Sand hinein spielten, lebten am kräftigsten. Nicht nur die Begierde nach unausgesetzter Regung sprach aus den Gelenken, von denen die Fächer der Finger sich knapp abhoben. Noch eine andere, vom Auge, vom Munde, vom Busen herniederfließende, antreibende Unrast sang aus ihnen; niemals, zum Beispiel, verschwand der goldene Reif, den die Linke trug, unter Seife, Wäsche, Arbeit und Wasser.
»Nicht wahr«, sagte Goethe plötzlich laut vor sich hin, die volle Gewißheit neuen Werdens triumphierte im geretteten Auge, »wir Männer machen uns gar keine Gedanken über das, was euch zarte junge Geschöpfchen von früh bis spät plagt? Über euer Tagewerk nicht, und über das, was in eueren verschwiegenen Herzlein vorgeht, noch weniger? Nicht wahr?«
Das Mädel hob die Arme vom Brett auf. Reckte das Köpfchen schräg aufwärts zu ihm; hatte wirklich dieser Fremde geredet?
»Es gibt natürlich Stunden«, fuhr er, ohne ihr Zeit zu lassen, fort, »da ihr glaubt, daß wir euch ganz verstehen: die Stunden der Liebe! Denn wir müssen euch liebhaben, und wer will nicht das Unverständlichste zu verstehen vorgeben, damit er geliebt werde von euch? Aber selbst dann, . . . glaubst du, wir wissen selbst in diesen Stunden ganz, was ihr seid, was ihr gebt? Wie viel weniger also erst vorher und nachher!«
Kopfschüttelnd, ohne Wort, ohne Gegenblick, beugte sich das Mädel zur Arbeit zurück.
In Goethes Wangen stieg Blut. Seine Hände, als hätten sie ein Stück Wachs vor sich, regten sich, den unbarmherzigen Sehwillen eines Tauchers bekamen seine Augen, dem das Herz in Angst braust vor den wartenden Schrecken und Wundern. »Ein Mann ist eben immer ein Mann. Er will nach der Welt. Ihr aber, . . euere Welt, die ist er! Oder nicht?«
Zum zweitenmal, weil es sich gegen den Zwang nicht zu wehren vermochte, hob sich das Köpfchen. » Non intendo, « lispelte es endlich kaum hörbar.
»Es gibt natürlich Ausnahmen!« versuchte er schnell, listig. »Männer, die nichts anderes im Sinn tragen als das Gesichtlein der Fidanzata?«
Im Nu feuerrot geworden, grub das Mädel die Hände in die Wäsche zurück. Schlug die Wäsche so grausam, daß es wie Peitschenknall von der Wand des Gefängnisses widerhallte.
»Aber selbst diese Ausnahmen . . . .« – da entschloß er sich. Verließ den Holzblock und setzte sich knapp neben das Mädel in das Ufer hinab. »Nehmen wir an: ein junges, schönes, braves Mädel hat sich einem jungen, schönen, ehrlichen Jäger vergeben. Eines Morgens geht der Jäger auf die Jagd in den Urwald, der ebenso wimmelt von
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