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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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umklammerte ihn nur noch bettelnder, verhafteter und die Furie der Todesangst vor der Trennung in jedem vermählten Gliede, »du darfst nie mehr zurück! Du bist mein! Ich lasse dich nie mehr von mir!«
    Wie das Antlitz der Io aber, die die Wolke umarmt, ohne Harm, ohne Wissen, ohne Furcht lächelte das Weib.
    »Fühlst du's nicht?« Sinnlos in seiner Verzweiflung küßte der Wahnsinnige ihre Brust, ihren Schoß, ihre Hände. »Ich kann nicht mehr allein sein! Ich kann nicht!«
    Tiefst in der Seele des Weibes aber brach das Siegel ihres Lebens auf: in ungemessenen Strömen, ohne Harm, ohne Wissen, ohne Furcht entflossen die brausenden Fluten der Erlösung.
    »Fliehe mit mir!«
    Immer seliger lächelte das Antlitz des Weibes.
    »Oder stirb mit mir!« Arme, die das Leben dem Leben weg in die Paradieslust des Niemehrgetrenntseins rissen. »Ja! Stirb mit mir! Stirb mit mir!« Im nächsten Augenblick – ein Pfiff aus dem Schlund des Kanals war erschollen – jagte die Gestalt des Mannes auf den Bug an die Ruderstange zurück.
    Hochauf spritzte von der Spitze der Stange die Sprühe. Wild fuhr das Holz in den Trichter der Welle.
    Die Gondel mit dem Antlitz des Weibes, das immer seliger lächelte, flog schon.
    Reglos, in der Miene nur Beten, stand Goethe in der Mitte der Finsternis. Pulst das Mysterium des Lebens überall, wo gelebt wird? Kreist das Schicksal des Menschen überall, wo er lebt?
    * * *
    Als er am Morgen nach dieser Nacht, ziellos wandernd, in den rivo Morea kam, eine osthin offene Gasse, in der Wasser und Steine die frühlinghaft grellste Sonne trugen, war sein Auge umflort. Girrte vor seinen Ohren Melodie um Melodie. Erzeugte sich im Gehirn ununterbrochen Bild auf Bild. Kam die Seele in heftigen Wallungen der ungeheuren Fülle nicht nach, die aus der Welt auf sie einstürmte. War die Schleuse denn so plötzlich gesunken? Das Leben der letzten Jahre wahrhaftig so blind und so taub gewesen? Nirgends in dieser Gasse war etwas anderes als Licht, volle Weite des Lichts. Nicht ein Splitterchen Schatten. Links aus dem Wasser, das weit rückwärts – wie auf ferner Bühne – von einem Brückchen überspannt wurde, stieg die endelose, nackt lichtstrotzende Mauer eines Gefängnisses oder eines Spitals. Rechts, diesem Brückchen am nächsten, ragte der rasige Vorplatz einer kleinen Kirche in die fondamenta hinaus. Die Kirche selbst war bis auf die zwei rotmarmornen Pilaster des Portals verdeckt von der schmalen Wand des hochengbrüstigen Hauses, das die Ecke der Gasse im Vordergrund bildete. Das zitternde Riesenlicht, das auf dieser Wand saß, in alle ihre ladenlosen Fenster hineinbrannte, die allüberall angeklebten Altane und Söller aus zimtbraun gebranntem Schiefholz ausmergelte, schoß wie eine Weißglutflamme von den teernassen Booten, die vor dem Tormaul zum Kalfatern bereit lagen, in den orgastisch blauen Himmel hinauf.
    Was ist Wahn? Was ist Wahrheit?
    Zögernd, Schritt für Schritt nahte Goethe dem Hause. Ein alter, hoher Mann mit weißem Knebelbart im roten Gesicht, oberhalb des Schurzes nur mit dem Hemde bekleidet, stand mitten zwischen den Booten. Über ihm der Teerbottich. Hinter ihm ein schlank prasselndes Erdfeuer. Von den Altangalerien herab schwang und sang eine ganze Ausstellung von Hadern, Lumpen und Fetzen in allen Farben. Vom Hause heraus ein Konzert wirrer Stimmen. Jetzt kamen sie alle auf einmal aus dem obersten Stockwerk. Nun rannten sie, eine nach der anderen, über halsbrecherische Treppen in den Flur nieder; rasend. Ein Knall! Sie stoben auseinander. Kinder schienen nun in einer ganz engen Kammer zu wimmern. Ein altes Weib keifte vom Herd im Erdgeschoß aus durch den Kamin hinauf in den Schlafkotter. Eine Matrone, schlagfertig, antwortete. Wieder Treppengepolter. » Mamma! « rief leicht übertönend eine ganz junge Stimme. » Mamma! « Und im Nu, als ob ihn eine Zauberhand berührt hätte, wandte der Alte sich um. Im gleichen Augenblick war die ganze Familie auf der Szene. Die Großmutter auf dem obersten Söller, die Padrona im Altan überm Tor, die Kinder und das Mädel, das » Mamma « gerufen hatte, hinter ihnen.
    Wie einem Ruf gehorchend, trat Goethe in den Kalfaterplatz und setzte sich unter all diesen Augen auf einen Holzblock im Rasen. Den alten Mann hatte plötzlich ein Brand umlodert, wie seines Alters beraubt, im Streit von Flammen, bodenlos zwischen den Kindern neben ihm und den zwei Weibern in der Höhe, stand er ohne Hilfe. Die Kinder waren schmutzig. Die Padrona, unter dem

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