Goethe
aufgeregt herabgeschickten Blick, wackelte mit üppigen Formen hinter einem blitzgrünen Schlafrock. Das Haar der Großmutter, gelbweiß über der pergamentenen Stirn und um die papierdünnen Ohren, troff von Öl. Flackernd strich ihr Auge den Mann ab und das Mädel. Dieses war schön. Der Reiz aufgeknospter achtzehn Jahre wiegte ihre Glieder. Auf schlanken, braunen Beinen, die bis ans Knie nackt waren, schritt sie. Goldfarben stieg der Hals aus dem schmiegsamen Bau zwischen den goldfarbenen Armen empor. Im Gesichte, das dieser Hals trug, standen: Unschuld und Weh.
» Vei! La collazion', Francesco! « kreischte die Großmutter.
» Presto! Finalmente! Vei! « rief die Padrona ihr nach. Weil das nicht half, schlichen die Kinder an den Mann heran, zupften ihn an den Hosen. Er verharrte wie im Traum. Noch einmal, drängender, zugleich, riefen die zwei Weiber. Frech reckten die Kinder die schmierigen Hände aus und fuhren dem Alten in den Bart. Er schüttelte nur den Kopf. Da legte ihm das Mädel die Hand auf die Schulter. Und sogleich bekam er die Wirklichkeit wieder, wischte sich die Hände im Schurz ab, schaute erwacht klar rundum, und ging.
Als er wieder kam, stand Goethe ohneweiters vom Holzblock auf, trat auf ihn zu und redete ihn an. Aus was für einem Holze würden diese Barken gebaut?
Der Alte tat nicht im geringsten erstaunt. Nahm die Meerschaumpfeife aus dem Mund mit der tiefen schweren Unterlippe, sah den Fremden unverhohlen als Fremden an und sagte prompt: »Aus istrianischem.«
»So?« Und wie lange eine solche Barke laufen dürfe, ohne wieder geflickt und kalfatert werden zu müssen?
Das hänge davon ab, auf welchem Wasser sie laufe.
Und wieviele Tage man zum Kalfatern eines Bootes brauche?
Der Alte lachte verächtlich; die blanken Polentazähne blitzten in der Sonne. Das hänge davon ab, ob es das Teeren sehr notwendig oder weniger notwendig habe, und wie groß es sei.
Und den Teer bekäme er auch aus Istrien?
Nein. Aus dem Friaulischen.
Guten?
Sehr schlechten. Man müsse sechsmal, auch siebenmal streichen.
»Ich stelle mir vor«, sagte Goethe, er setzte den rechten Fuß auf das teertropfende Boot, »daß ein Kalfaterer auch Bootbauer sein müsse? Nicht?«
So dumm, wie ich meinte, ist er doch nicht! schien der Alte zu schmunzeln. Seine Miene ward eindeutig. »Natürlich! Es laufen von mir gute einhundertsechzig Kisten auf der Adria!«
Also sei sein Geschäft auch nicht langweilig? »Man baut heute ein Schiff, kalfatert morgen ein Boot . . . .«
»Und ist übermorgen Taucher!« Die Brust warf der Alte heraus. Jawohl! Vor vier Jahren habe er aus einer Fregatte, die vor Punta San Nicolò gesunken war, ganze siebenhundertvierundachtzig Goldzechinen »und sieben Ballons Zypernwein heraufgeholt! Per l'amor' di Dio! « Als ob die Teufel ihre Pratzen von ihm absetzten, wurde er sicher und frei. »Sie meinen, ich sei reich geworden? Santa Pazienza! Die Signoria ist schmutzig wie eine Hurenmutter. Aber« – mit wuchtigen Beinen stieg er in den Bootsboden hinein und kniete darin nieder – »den Wein habe ich ausgesoffen!«
»In zwei Jahren?«
»In genau neun Tagen.«
»Ich gratuliere.«
»Ja! Es war mein erster und letzter Rausch. Aber ein ganzer! Ich erinnere mich mit . . . . . . Ja, mit Wollust daran!«
»Die Signora Margherita aber wohl mit Schaudern?«
Blitzschnell hob der Alte den Kopf von der gleißenden Teernässe; er war puterrot, weil ihm das Bücken das Blut all emporgetrieben hatte; wie in einer heimlichen Hatz, lauernd, rollten die Pupillen in das blendweiße Runde zurück. Woher wisse der Herr, daß die Padrona Margherita heiße?
Goethes Auge war jetzt nicht mehr umflort. Anstatt des Chaos von Melodien zitterte nur noch ein einziger, hartnäckig bestimmter Ton ihm im Ohre. Das Gehirn folgte sparsam gemessen den Sinnen. Die Seele, obwohl ohne Grenze geweitet, gab nur diesem Eindrucke Raum. Gewiß war es köstlich, daß die Schleuse so urplötzlich weltaufreißend gesunken, die volle Unerschöpflichkeit des Lebens dem gierig dürstenden Geiste so unfaßbar lebendig emporgetaucht war, und in jedem Stein menschliches Schicksal pulste. Aber grundfalsch, darum frevelhaft wäre es, die hungrige Seele wahllos überschwemmen zu lassen von den Fluten dieser Vollheit. Nur das Auge , ja, das Auge muß arbeiten! Wenn dies Auge aus seiner Stumpfheit ganz wieder erwacht und schleierlos sieht, das Ohr truglos vernimmt, der Gaumen sicherer schmeckt und die Hand leibhaft fühlend
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