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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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haschte er Goethes Hand in seine zuckenden Finger und preßte sie beschwörend; »bis auf gewisse Träume, die mich hie und da – zur Verzweiflung treiben!« Zurückschnellend, stolz, daß der Ruck den gebrechlichen Bau seines Leibes wie ein Erdbeben durchriß, raffte er sich auf. »Sagen nun Sie mir – schonungslos! –: welchen Eindruck macht Ihnen Venedig?«
    »Es ist das Menschlich Interessanteste, was mir jemals unter die Augen kam,« antwortete Goethe ohne Besinnen.
    »Das meine ich nicht!« Wie ein enttäuschtes Kind stampfte der Doge den Boden. »Ich meine . . .«
    »Venedig unterliegt der Zeit, wie alles, was ein erscheinendes Leben hat.«
    »Zeit, Zeit, Zeit! Die Zeit ist lang!«
    »Wenn sie nicht schon vorbei ist, für Venedig?«
    »Das ist erlogen!«
    »Ich sehe die Signoria erstarrt in Formeln und Artikeln.«
    »Das ist Verleumdung!«
    »Die Länder, die am üppigsten speisten, sind dahin. Die Schätze aufgezehrt. Die Quellen, aus denen sie flossen, versiegt. Der Ruhm – nur noch natürlicher Abglanz einer großen Vergangenheit. Die Feste, die Sie feiern, nur noch Erinnerungen. Und das Volk . . .«
    »Das Volk?« Drohend wie ein goldener Schatten trat ihm der Doge an den Leib. »Das Volk?«
    »Das Volk, auch wenn es zu lachen scheint, zu scherzen und zu tanzen, es lacht doch nur auf der Bühne eines Friedhofs. Tanzt doch nur, genau so wie die Signoria in Maske und Pomp, den Tanz seines Todes. – Venedig stirbt, Euere Herrlichkeit!«
    Wie ein Geist wankte der Doge zurück. »Führt ihn hinab!« zischte er aschfahl die Männer an, die eingefallen waren. »Hinab!« Und wahrlich, bevor er noch einen Laut auszustoßen, mit der Wimper zu zucken vermochte, ergriffen die Maskierten Goethen und stießen ihn hinaus. Wie erstarrten Leichnam fühlte er sich. Die Augen sahen, die Ohren hörten, das Fleisch empfand die Püffe der Männer, die modrige Nässe, kalte Glätte der Wände, zwischen deren grabschwarzer Finsternis er durch unzählige Tore, ewige Hallen und Gänge über immer noch engere und zerfressenere Treppen in die Tiefe des Palastes hinabgezerrt wurde; und konnte sich dennoch nicht regen. Als ihn die Vermummten endlich verließen, fand er sich auf pfütziger Erde in undurchdringlichem Dunkel. Von Fiebern geschüttelt, schlief er in Betäubung hinüber. Zehnmal pochte es an der Wand, die seinem Haupte gegenüber starrte, ehe er es vernahm. Beim elften Schlag erwachte er. Erhob sich. Stieß das Haupt an der Decke blutig. »Was ist?« stammelte er zurückgesunken. Ein Schrei, der ihm Mark und Bein durchfuhr, antwortete. Draufhin: silbernes Lachen. Daraufhin: ein Axthieb! Nun – Stille. Wie ein Maulwurf, der plötzlich den Zentner Erde über seiner Blindheit erfühlt, griff er, den Schlamm auf den Knien durchrutschend, mit verzweifelten Händen in die bröckelnde Quader und rüttelte. Auf einmal – er mußte stundenlang gerüttelt haben – sang Wasser! Zitternd reckte er das Ohr. Wasser strömt herein! Im Nu wachsend, gurgelte es schon um seine Füße! Kein Zweifel, er hatte die Mauer, die in den Kanal hinaus ging, aufgerissen. Nun ertrank er! Klappernd vor Todesangst, mit aller Gewalt der Glieder sich zum pfeilschnellen Fisch zusammenklappend, schoß er heraus aus dem Sprudel, hinein in den Strom –, und kam prustend empor. Schwamm unterm Bogen der Seufzerbrücke im Kanal.
    Eine Stunde später trieb er vor der Giudecca draußen, in der Richtung Ferrara. Am späten Abend landete er, nackt und halberfroren, an der Küste von Ferrara. Ein Bauer zog ihn in einer Schilffuhre in die Stadt. Der Herzog ließ ihn laben und kleiden. Nach Cento durchgekommen, fand er Guercinos Haus offen. Freundlich reichte ihm Guercino fünf Dukaten auf die Reise. Er war nun mager wie ein Windhund. Um den erblichenen Mund die Höhlen der Entbehrung. Dennoch: unermüdet von früh bis nachts zog er die Straße. Die Kleider zerrissen wieder. Das Geld ging aus. In mancher Herberge fand er statt geschenktem Essen und erlaubtem Lager Schimpf und Schläge. Dennoch: unermüdet von früh bis nachts zog er die Straße. »Lotte«, träumte er wohl oft im Wege vor sich hin, »wenn du jetzt deinen Liebsten sähest! Wie er mit brennenden Füßen, Hunger, Angst und Durst, und ohne Wissen, ob in Rom ein Dach sich findet, der Sehnsucht nachrennt.« Denn diese Sehnsucht machte immer heißer rennen. Hinter Foligno erzählte er einem Banditen, der ein Stück Weges mitging, es habe ihn in Venedig einfach nimmer geduldet. Als er dort

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