Goethe
angekommen, sei er noch ein Stein gewesen; als er fortging, vor acht Tagen, – ein Mensch. »Ich mußte erst, mein Lieber, das Menschenherz in diesen Rippen wiederfinden, eh' ich den heiligen Weg herab da wagen durfte. Nun freilich« – siegreicher lachte er auf – »kann mich kein Engel mehr, bei Zeus, erschlagen!« Da schlug der Engel ihn. Knapp hart vor Terni. Von einem scheugewordenen Reitroß überritten, brach er das rechte Bein. Sieben volle Stunden müht' er sich noch weiter. Dann blieb er liegen. Zwölf Vetturini, während der zwei Tage, fuhren frech an ihm vorüber. Der Berg dort unten, blaue Dreieckzacke, hieß Soracte! Nocheinmal, trotzwild, zwang er sich, zu humpeln. Umsonst. Zum zweitenmale sank er hin. Verzweifelt raste er: »Ich muß nach Rom!« Im Morgengrauen nach dieser grauenvollen Nacht nahm ihn ein Karren mit; zurück. Drei Nonnen saßen drin, die wollten ins Hospiz nach Orte. Er hatte sich mit Leibeskräften gegen sie gewehrt. Umsonst! Der Karren knarrte fühllos: heimwärts! »Hört!« wimmerte er von Meilenstein zu Meilenstein erbarmungswürdiger die Nonnen an, »ich muß nach Rom! Lebendig oder sterbend! Bringt mich in ein Asyl nach Rom! Ich laß mich gern bekehren!« Sie zogen blinzelnd ihre Rosenkränze, plapperten kreuzschlagend, – da, wie ein Blitz, die Eilpost saust vorbei! Ein einziger Gast sitzt drin!»O, nehmt mich mit! Bei Eurer Seligkeit!« rief er, von Tränen überströmt, trotz allem Schmerz weit aus dem Weidenkorb herausgebeugt, zum Fremden hin, »erbarmt Euch meiner! Gott wird's lohnen!« – »Wohl!« rief der Fremde, riß den Schlag auf. »Hurtig!« – Ha! Wie er niedersprang vom Schinderpfuhl! Ein Bein schon hebt er glücklich! Nun das kranke, – »zum Teufel!« Fluch! Das Gaulpaar zieht besessen an, der Wagen jagt, – »Rennt nach! Flink! Vorwärts!« rief der Fremde. – »Ja! Gleich! Ich komm schon!« Und nun hinkt er, dampft er, stöhnt er, keucht er, es muß, es muß, es muß gelingen! Nur noch dies kleine Stücklein lauf! Aushalten! Beiß die Zähne aufeinander! Fest wollen mußt du! Noch sechs tapfere Schrittlein, dann –
Ratsch! reißt ein Riß durch die geborstne Wunde! Er schwindelt, sinkt, der Wagen ist dahin . . .
» Ecco Signore, – Roma! « rief da sein Vetturin, gemach zurückgebeugt, und wies mit froher Geißel weit nach vorne.
Als ob er aus dem Grab aufstiege, mit tollen Händen sich die Last der Erde von den Schultern wälzen müßte, fuhr Goethe aus dem höllischen Traum. Da vorne, weit, weit vorne . . .
An allen Gliedern zitternd hob er sich empor. Sah, strahlend, Himmel in den Augen: da auf dem Kissen grüngewellten Lands, hochaufgebaut ins grenzenlose Weite, saß blau und wahr die Kuppel von Sankt Peter!
Viertes Buch
Ahnung
Eine sanfte, andächtige Stimme las langsam, gleichmäßig, Wort für Wort: »Ich war in dem ersten Augenblick gleichsam weggerückt, und in einen heiligen Hain versetzt, und glaubte, den Gott selbst zu sehen, wie er den Sterblichen erschienen.«
»Mit Verehrung schien sich meine Brust zu erweitern und aufzuschwellen.«
»Gefiele es der Gottheit, in dieser Gestalt sich zu offenbaren, alle Welt würde zu ihren Füßen anbeten, die Weisen der ältesten Zeit die Gottheit der Sonne in menschlicher Gestalt finden.«
»Sein Gang ist wie auf flüchtigen Fittigen der Winde.«
»Es scheint ein geistiges Wesen, welches aus sich selbst und aus keinem sinnlichen Stoff sich eine Form gegeben, die allein eine Erscheinung höherer Geister hat bilden können.«
»Keine Anstrengung der Kräfte und keine lasttragende Regung der Glieder spürt man in seinen Schenkeln, und seine Knie sind wie an einem Geschöpf, dessen Fuß niemals eine feste Materie betreten hat.«
»Weder schlagende Adern noch wirksame Nerven erhitzen und bewegen diesen Körper.«
»Zorn schnaubt aus seiner Nase und Verachtung. wohnt auf seinen Lippen.«
»Aber sein Auge ist wie das Auge dessen . . .«
Mit stumm erhobenem Arm gebot Goethe Einhalt.
Göttlich vom Himmel herab, über den Statuenhof, dem der Springbrunn entquoll, schwieg die weltweite Seligkeit italischer Bläue.
Irdisch vom Marmor empor die Seele des Künstlers, der dem Rufe des Himmels gefolgt war.
Wo, überm Gesims des Bogengangs, der gegen Osten lief, die Sonne in das feiernde Achteck hereinfloß, in einem breiten Strahl des Urlichts, vereinigten sich beide Gewalten: Himmel und Erde; vermählt schwebten sie nieder auf den Belvederischen Apoll.
Behutsam, wohl prüfend, ob er
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