Goethe
wache, hob Goethe das Auge auf zum Verstummten. Dann nach links. Dann nach rechts. Aber nur noch glücklicher kehrte es zurück. »Laokoon, Antinous, Nil, Meleager, Phokion!« flüsterte der ehrfürchtige Mund. Aber schnell wieder, zum demütigsten Schweigen, legten sich die Lippen aufeinander. Ein Atemzug, trinkend aus der Quelle der reinsten Lust, dennoch scheu wie der eines Kindes am ersten Morgen des Bewußtseins, wölbte die selige Brust. Aber auch, wie sie den Strom dieser Wonne nun ausatmete, tat sie es leise, geheim, in der heiligen Furcht vor dem Gotte.
»Ich lege den Begriff, welchen ich von diesem Bilde gegeben«, hub die sanfte, andächtige Stimme wieder zu lesen an, »zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen, welche das Haupt der Gottheit, das sie krönen wollten, nicht erreichen konnten.«
Aber nur noch gebannter verharrte das Auge des Schauers über dem Gotte. Die klirrenden Geräusche des Lorbeers und der Myrthe wußte er nicht, die, vom Novemberhauch angeraschelt, die keusche Kühle des Morgens vom Garten des Hofes her an die Sockel der steinernen Bilder trieben. Die Säule des Springbrunnens nicht, die aus dem marmornen Schatten der Schale, ewige Schwester der reglosen Bilder, in die Höhe der Sonne stieg, in der Sonne mit Blitzen zerplätscherte, und lächelnd wieder herabrann in den Schatten der Schale. Und die wie mit Schwalben, die zwitschernd über dem Achteck flogen, mit duftigen Winden, die von den sieben Hügeln in die Geheimnisse des Steins wehten, – ach, mit Stimmen aus allen Zeiten in die Tempelstille hereinklingenden Rufe der ewigen Stadt nicht. Nur noch den Gott! Die Küste der Heimat, nach der ihn die Furien der Sehnsucht durch barbarische Länder und Jahre gehetzt hatten. Die Offenbarung der Schönheit, die er zum erstenmal, staunend, genoß.
»Winckelmann«, wagte sich die sanfte, andächtige Stimme zum drittenmal hervor, »Winckelmann meinte, zu den Kunstwerken, die den Betrachter durch augenblickliches lebhaftes Ergreifen fesseln, gehören im besonderen jene, die eine Erscheinung darstellen, darin der Künstler den plötzlichen Eintritt eines Wesens aus einer andern Welt oder aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare veranschaulichen wollte. Auch die Wirkung des Apoll hat er auf dies Visionäre zurückgeführt, – auf die ›Theophanie‹.«
Aber der Schauer nahm das Auge auch jetzt nicht weg von dem Gotte. Reglos, in der Gnade der Anbetung, hielt er das Antlitz ihm stumm gegenüber. Stumm; aber glühend von nimmer zu bändigender Liebe, nimmer zu fesselndem Danke. O! Nicht mehr lahm sein! Nicht mehr Bettler sein! Ruhig nun lahm oder Bettler werden dürfen, ohne den Preis dieser endlichen Heimkehr je noch verlieren zu können! » Mir sind diese Arme ausgebreitet! Meiner Sehnsucht diese Augen zugekehrt!« frohlockte die Glut. Und betend, mit Händen, die zum erstenmal frei waren von jeder Armut und Häßlichkeit, hielt er das tiefgehöhlte Gefäß seines Menschen empor zu dem Gotte. Und unablässig, ungemessen und unerschöpflich troff das Licht herab, schwoll bis zum Rande, strömte über, – Überfluß, Ende jeder Not.
»Mengs«, entschloß sich Tischbeins sanfte Stimme nun aufzuwecken, »wich in seiner Beurteilung vom Grade des Apoll von Winckelmann ab. Die Weichigkeit in der Behandlung der Haare galt ihm als ein Zeichen der besten Zeit; des Phidias und Alexander. Früher seien sie steif gemeißelt worden. Erst in der Zeit des Nero kam man diesem ältesten Geschmack wieder näher. Die bestgearbeiteten Haare aber finde man von Marc Aurel bis Septimius Severus, als die Kunst das Ganze vernachlässigte und das Detail dafür hervorhob. Auch die erhabene Brust sei in der Dauer des höchsten griechischen Stils ein Element der Bildhauerkunst gewesen. Die flache bildeten sie erst nach Alexander. Dadurch sei viel Harmonie verloren gegangen; man vergaß, meinte Winckelmann, daß ein großförmiger Körper auch von großen Teilen zusammengesetzt sein müsse. Trotzdem haben ihn diese Mängel am Apoll nicht gestört. Mengs aber, gerade ihrethalben, rechnete den Torso, nicht aber den Apoll, zu den Statuen des ersten Grades.«
»Ich kann weder denken noch reden!« Völlig entrückt erhob sich Goethe, griff nach der Hand des Sprechers. Und unwirklich, in Glanz gebadet völlig, winkte er das Paar herbei, das geduldig wartend vor dem Meleager drüben saß. Und als er sie nun alle drei um sich hatte: Tischbein, den ganz seiner sichern Malermann, das dreiundzwanzigjährige Kind Bury und den
Weitere Kostenlose Bücher