Goethe
Himmel schwarze Sterne. Die Stadt verwirkt –
Und plötzlich, allum, Schweigen.
Bis eine Stimme jäh es neu zerhieb, die andern aufzwang, aufriß, unerbittlich. »Marietta ist's! Ja! Wieder ist's Marietta!« Die Barke unterm Mann erschrak. Doch – auch Marietta mochte rufen, singen, – nur mehr der Dichter war's, der, lange schon vermodert, durch diesen Mund, der kaum sein Wort verstand, aus weiter Ewigkeit herüberlebte. Jerusalem, bezwungen oder frei, – Torquato Tasso sang jetzt überm Wasser! Die Weiber schliefen, an ein Schiff gelehnt, Marietta sang, weil ihr das Herz nicht schlief, – doch nur Torquato Tasso war jetzt überm Wasser! Er ganz allein, der Fern und Nah verband, dem Mann, der fiebernd in der Barke stand, mit tiefstem Sinn ins wilde Innere sang. Nicht mehr war Nacht, Venedig, Ufer, Meer, gehetzte Qual zerriebner Weiberseelen. Torquato Tasso nur, vom Staub befreit, der Erde und des Irrtums ganz entbunden, zog lächelnd durch den Doppelsaal der Welt, und zwang sie leicht, weil er sie überwunden. Und an sein schwarzes schlankes Wams gelehnt, hielt er Marietta, die ihn bettelnd pries, – » per dio! Mostro! «
Die Barke hatte einen Sprung getan.
» Diabolo! Beatissima vergine! « fluchte der Greis, aus dem Stand geschleudert, den Gast im Boden und das Wasser drüber. » Porco maledetto! Bestia! Canaglia! « Und riß das schaukelnde Holz mit Todeseile in Gegenwasser. Aber Goethe war schon aus dem Strudel gesprungen, auf die Bank geschnellt. Mit der Stimme eines bärenhaften Steuermanns schrie er durchs Rohr der frierenden Hände zur Barke hinüber, die rauschend vorüberfuhr: » Matteo! « Der Barke folgte eine zweite, der zweiten eine dritte, der dritten die vierte, dieser die fünfte. » Matteo! « schrie er brausend in jede, während dem Schiffer der Schweiß der Wut in den Bart hinabrann. » Matteo! « Und als die Barken mit hochaufschäumenden Kielschwänzen, in deren Wirbeln jeder Ruf ertrank, schon vorübertosten, » Matteo! « Und immer wieder gezielter, gespannter, gebannter: » Matteo! « Bis ihm – Blitz, Donner oder Schlag? – die Stimme ausging und er steil wie ein Mastbaum in die Höhe emporwuchs. »Marietta hat ihn! Hat ihn! Ja! Sie hat ihn!« Und wahrlich: Brandung drüben, am Ufer, – und die Wasser begannen zu wallen wie von neuen Quellen des Lebens, die Stadt sich zurückzuschmiegen mit Kuppel, Turm, Zinne und Leben in die Feier des Himmels, und von Torquatos Brust weg, selig schneidend, sang sich Marietta jauchzend: Sieg und Hochzeit.
»Kehr um!« befahl Goethe heiser und ließ sich nieder. Müde, todmüde. Wie ein betäubendes Gift streckte ihn die Entspannung zu Boden. Es fröstelte ihn. Schleier, so sehr er sich dagegen wehrte, überfielen immer dichter die erschöpften Sinne. »Ich muß schlafen!« stöhnte er. Aber ehe das Haupt das harte Holz fand, fiel ihm ein: Das Kurierschiff geht um Mitternacht! »Eil' dich! 's ist höchste Zeit!« rief er, rasch aufgerafft, dem Alten zu und stieß ihn tückisch in die Seite. Das half. Wie hungriger Hai schoß die Barke durchs Wasser. Rauschen. Gleiten. Strömen. Plötzlich, als ob sie krachend an etwas Hartes anführe, machte sie Halt. »Was ist?« wollte er, wachgerüttelt, noch fragen; da fühlte er sich ergriffen. Von rückwärts; mitten aus der Schar neidisch gelber Gesichter, die vom Ufer aus grinsend den Griff der Schergen hinter seinem Rücken verfolgten, starrten ihn, eng nebeneinander lodernd, die Augen des Herzogs, Herders und Charlottens an. Des Herzogs Miene war wie Gewitterhimmel. »Also deshalb bist Du mir durchgegangen?« Wie ein Messer stach Herders spotttriefender Blick: »Um Romanzen zu erleben?« Charlotte aber, – die Empörung der weltausgespieenen Kreatur flammte in ihren Pupillen. »Wer ist mehr Margarethe,« schrie sie ihn tobsüchtig an, »ich oder sie?« Er tat einen Schrei, verlor den Hut, – im nächsten Augenblick, von blitzschnell Herangeruderten den Häschern entrissen, saß er gefesselt zwischen zwei Vermummten. In einer Gondel. Die Gondel flog, von zornigen Schreien verfolgt, lächelnd dahin. Landete genau an der Piazzetta. Die Vermummten stiegen aus, zogen ihn ans Land. Führten ihn durch die Porta della carta, über die Scala dei giganti unmittelbar bis vor die Gemächer des Dogen. Vor einer ungeheueren schwarzen Tür, die mit eisigem Marmor eingefaßt war, übergaben sie ihn zwei Hellebardieren. Die lösten ihm die Fesseln. Dann schlug eine der Hellebarden in den spiegelglatten
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