Goethe
Erblande. Neidig um den Reichtum, rücken die fünfzig Söhne des Aigyptos ihm nach. Sie erzwingen es, daß ihnen die fünfzig Töchter des Danaos vermählt werden. Danaos aber mißtraut. Auf sein Geheiß töten die Danaiden, in einer einzigen Nacht, ihre Männer, – mit einer Ausnahme: Hypermnestra bringt es nicht über sich, Lynkeos zu morden. Aus diesem Bette stammt Akrisios. Seine Tochter Danae gebiert, vom Zeus, den Perseos. Dessen und der Andromeda Sohn ist Alkaios. Von Alkaios wird Amphytrion gezeugt, der Gatte Alkmenes, die von Zeus den Herakles empfängt.
»Hat Danaos, der Ahnherr des Herakles«, trat Goethe rasch vom Pfeiler vor, »nicht dadurch das Erbland Argos erhalten, daß, während er mit dem angesessenen König Gelanor stritt, ein Wolf vor der Stadt in eine Rinderherde fiel und den anführenden Stier bezwang, und daß die Argiver dies als göttliches Zeichen für ihn auffaßten?«
Tischbein, vor den zwei ratlos einander anblickenden Jüngeren, lächelte. »Richtig! Der Wolf aber ist das Lieblingstier Apolls; Apoll hatte den Wolf gesendet. Darum erbaute Danaos dem Gotte sogleich einen Tempel und führte seinen Dienst in Argos ein.«
»Ach, Tischbein!« Überwältigt legte ihm Goethe die Hand auf die Schulter. »Also auch das zweite Stück Kulturgeschichte! – Nein! Nein!« Fröhlich lachte er; Tischbein war zu sichtbarlich erschrocken. »Ich denke nicht daran! Das Erschütternde ist nur, daß der ungeheure Weltinhalt zuletzt in der Tat eines Künstlers zusammengefaßt wurde; in einer einzigen Statue!«
»Winckelmann –«, nein! Diesmal brach Tischbein ab. War er nicht wie ein abstrakter Professor?
»Bitte! Bitte! Bitte!« drängte Goethe gierig.
»Winckelmann erkannte die Bedeutung des Torsos darin, daß der Held und der Gott in ihm zum Ausdruck kommen. In jedem Teil dieses Körpers offenbare sich, wie in einem Gemälde, der ganze Held in einer besonderen Tat. Die wellige Übergleitung des eines Muskels in den anderen aber, die den Blick des Beschauers in ihrer Bewegung geradezu mitverschlinge, zeige den vergötterten Leib, jenen, der auf dem Berge Ötha von den Schlacken der Menschheit gereinigt worden ist.«
Aber den Schauer mit dem halben Ohre zog es schon lange geheimnisvoll unerbittlich zurück. Suchend noch ein paar Schritte tat er mit, stahl sich auf einmal geschickt in das Gewühl einer britischen Fremdenherde, ließ sich von dieser aus der Tür in die Treppe hinausschieben –, und stand plötzlich allein vor dem Gotte. Und nun redete der Gott zu ihm! Die Sonne hatte den Statuenhof ganz erobert. Bis über die Knie des Bildes stieg sie den Marmor empor; nicht höher und nur mit bescheidenem Scheine. Dennoch war es gewiß wie das Dasein: ob sie auch greifbar da oben hing im azurnen Himmel und von seiner Höhe herab die Welt bestrahlte, – einzig und allein doch nur aus der Erscheinung des Gottes kam sie. Denn wie die schrankenlos fließende Güte alles dessen, was ewig ist, redete der Gott! Wo war noch Zorn und Verachtung in dieser Miene zu lesen, die unter dem Gesetz der Offenbarung, dem die ganze Gestalt gehorchte, nichts als die Erlösung verkündete, mit der die endlich geborene Wahrheit das lechzende Herz der irrtumbefangenen Menschheit entknechtet hatte? Was konnte der Glaube an einen persönlichen Gott mehr wirken als: die Befreiung von der Mauer zwischen dem Irdischen und dem Ewigen, zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen, wie sie der Anblick dieses bildgewordenen Gottes bescherte? Nicht nur die Schuppen vom nachtgewöhnten Auge fielen ab, auch die Panzer vom fronerdrückten Herzen. Man mußte nur an die Stelle der törichten Heere unnatürlicher Gewohnheiten, willkürlicher Begriffe und erlisteter Erkenntnisse die eine einzige Wahrheit setzen: das Urbewußtsein des nackt in die Welt gestellten Menschen von seiner unmittelbaren Kindschaft gegenüber der Schöpfung, – und alles war Licht! Diese Kindschaft aber und nichts anderes predigte die Tatsache, daß ein Einzelner die Gewalt des Antriebs empfunden hatte, alle wechselnden Epochen des inneren Aufstiegs seines Volkes so, als wären sie die Stadien seines eigenen Schicksals, in der Idee der Geborgenheit alles Geschaffenen im Willen der Schöpfung zu sammeln, und diese erlösende Idee in einer Statue zu verkörpern. Denn Apoll bedeutete Erlösung! Nur, wo er war, wich der Bann des Blutes vor der Herrschaft des Gedankens; linderte dieser sich zur Macht des Herzens. Was den Bezwinger der Löwen, Drachen, Schlangen,
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