Goethe
Greis, soeben aus dem Wagen gehoben, wehrt den Sänfteträgern ab, steigt hochaufgerichtet allein die Treppe hinan, hebt die entsetzt in die Knie gesunkene Gestalt aus dem Stein auf und umarmt sie mit dem Kusse des Friedens.
Unter dem Wahnsinn des Jubels, der wie steil aufgepeitschte Meerflut sich aus dem Platz reißt und den Platz überwellt und an die Treppe hinanbrandet, tritt er nun, vom Verklärten geleitet, in die Halle der Kirche.
»Komödiant!« Mit einem verächtlichen Ruck setzte sich Schütz an den Tisch zurück.
»Ich bin sehr glücklich darüber,« lächelte Goethe nach einem gütigen Räuspern, »daß ich nun auch an den Katholizismus heranrücken darf.«
»Etsch!« Ellenlang streckte Bury die Zunge heraus; puterrot wurde Schütz.
»Sie müßten ihn sehen«, sprang Tischbein hilfreich ein, »wenn er am Himmelfahrtstag, nach der feierlichen Adoration durch das Kollegium der Kardinäle, da oben von der exedra aus urbi et orbi den Segen erteilt. Da ist er . . . .« – da stand das Mädel wieder da. Also, was der Herr – trippelnd hatte sie vor Goethen Halt gemacht – zu essen begehre? »Maccaroni? Fisolen? Foglie?« Aber ehevor Goethe nur ein Wort sagen konnte, drehte sie sich, wie von einem Strick gezogen, um, tauchte das Auge in das noch immer schwarzoffene Tor der Kirche hinein, ließ die Lippen wollüstig aufzittern, – » O, quanto è bello! « stieß sie begeistert hervor.
» Santo padre! « meckerte in derselben Sekunde ein Gassenbub hinter ihrem Rock, den er starr festhielt. » Dateci la benediziom! «
» Con una bella collaziom! « piepste schlagfertig ein zweiter.
»Werdet ihr?« In heiligem Zorn ließ ihnen das Mädel das schmierige Handtuch um die Ohren sausen. »Lumpen, verdammte!« Und wonnig, ganz umflossen von Seligkeit, lachte sie Goethen an: »Also? Maccaroni?«
»Also, Maccaroni.«
»Es ist ja nicht unbegreiflich«, nahm Tischbein pflichtbewußt gleich wieder den Faden auf, »daß er sich sonnt. Unter Innocenz Albani geboren, noch dazu arm wie eine Kirchenmaus und in Cesena, hat er sechs Päpste durchgelebt, die nicht von Pappe waren und ihn kaum hoffen lassen konnten, daß er einmal werden würde, was sie waren. Als Benedikt Lambertini antrat, kam er nach Rom, und es war kein vielverheißender Anfang, daß er auf einen Heiratsantrag aus glühender Liebe einen Korb mit der ausgesprochenen Begründung empfing: zu wenig Zechinen! Aber gerade mit der Einsargung seines Herzens scheint er die Bahn für die Karriere freigemacht zu haben. Er wird Auditor der päpstlichen Kanzlei, schnell darauf Benedikts Geheimschreiber, unter Clemens Rezzonico erst Auditor des Kardinals Camerlengo, dann Generalschatzmeister, – endlich Kardinal; und zwei Jahre später Papst. Daß ihn die Römer nicht eben lieben, merkt er gar nicht. Daß ihn die Heidengelder, die er in die Pontinischen Sümpfe gesteckt hat, nicht berühmt machen wollen, sagt ihm niemand. Zu Nepoten hat er sich die Untauglichsten ausgesucht. Der Herzog von Nemi ist ein Schneider auch heut noch, und der Kardinal Romuald dumm wie ein Pfau. Aber Pius weiß, daß es nichts Vollkommenes auf der Erde gibt, und die Unvollkommenheit des päpstlichen Hofes kennt er genau. Drum freut er sich seines hübschen Fußes, läßt sich eine Tiara nach der anderen machen und bildet sich ein, in der Förderung der Künste Lambertinis Nachfolger zu sein. Übrigens« – interessiert tippte er Goethen an, der nun seine Maccaroni vor sich hatte – » er hat Clemens Ganganelli den Rat gegeben, den Statuenhof zum Ausgangspunkt des neuen Museums zu machen!«
»So?«
»Und er hat, nach Clemens, das Museum um ganze sieben, wenn nicht acht Säle und Kabinette vermehrt. Wenn man auf einem Stiche sieht, wie noch zu Winckelmanns Zeiten das Belvedere einsam am Ende eines öden, leeren Korridors auf dem Hügel stand, . . .«
»Jedenfalls« – himmlische Klarheit umfloß Goethen – »ist es der größte Triumph der olympischen Götter, daß sich der Statthalter Christi als der König der Geister fühlt, weil er sie beherbergt!« Kräftig wischte er sich den Mund ab. Und ganz insgeheim, aus dem tiefsten Überfluß heraus, begann er zu lächeln. »Wissen Sie, daß ich mir die elende Gesichtsfarbe der Welschtiroler aus ihrer Kost erklärt habe? Sie essen Tag für Tag diese welsche Blende. . .«
»Plenten!« behauptete Schütz.
Gespannt: »Wissen Sie das gewiß?«
»Zuverlässig!«
Dankbar: »Der ewige Brei muß ja die Gefäße verstopfen. Dieser
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