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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Welt gewesen ist, indem es dem Manne gehört, mit ihm Wonne geschlürft, von ihm Qualen genossen, und aus ihm geboren hat, und was jemals dem Ahnen sinnarmer Sterblicher eine Göttin hat bedeuten gemußt: Erbarmerin, für sie, vor dem Donner des Gottes, und – weil sie weiblichen Blutes – auch Rächerin trotz dem sanften Gutsein des Gottes, – in diesem Riesenhaupt stand es geschrieben.
    »Urweib!« flüsterte er hingerissen. »Göttermutter!« Tappte hingerissen näher . . . . . .
    Da stand er vor ihr.
    Zwerg mit einem Schlag. Ihrem Auge entrückt. Seine Hände, die das Fieber des Erratenwollens biß, nur den Hals mit bettelnden Findern wollten sie berühren; wie weggeschleudert sanken sie zurück, – ein Mann kam aus dem Walde hervor.
    Fröstelnd floh er in den Schatten. Eilig berechnete er: drei Minuten lang kann das Licht noch währen. Dann wird sie in furchtbarer Bleiche erschauern; und mich erschlagen. Und noch weiter weg wich er, wie von Stürmen gehetzt. In seinem Rücken die Steine der Stadt zerflossen in Luft. Die Messungen des Gartens ins Grenzenlose. Seine Augen suchten furchtsam nach etwas Verwandtem. Die Füße nach einer Scholle, die festsaß. Seine Hände, – wie? Stablos, auf einmal, auch sie? Geländerlos, grifflos?
    »Lotte!« Ohnmächtig stöhnte er auf. Die Kälte des blassesten Alleinseins schnürte ihm das Herz zusammen, zog die bebenden Glieder in einsamstem Krampf hinauf nordwärts, nach Deutschland. »Lotte! Oder, wenigstens, Fritz! Mein kleiner, lieber Bub!« Und wie in eine Wolkenbank gierig gesammelt, fiel die Dämonie der Sehnsucht, die er seit Wochen so höhnisch leicht niedergehalten, der süße Bann der Gewohnheit, der Heimat, die grausame Macht seiner irdischen Grenzen herab auf sein Taumeln. Wenn Charlotte jetzt da neben ihm ginge, in den schönen Händen den wildfrommen Strauß der unzähligen Stunden des Hangens und Bangens, Lechzens, immer wieder Erlöstwerdens und wiederum Lechzens! »Lotte! Liebstes! Armes! Verlassenes! Einziges!« Mit aller Gewalt raffte er sich auf. Fast drei Monate schon fort! Und noch keine einige Zeile von ihr! Hunderttausend Briefe hatte er ihr geschrieben. Aber kein einziger von ihr! »O, es ist nicht wahr!« Nein, es war nicht wahr, was er sich so oft vorsagte: daß er sie nicht mehr liebte! Es war mehr als Liebe, vielleicht war es nicht Liebe, aber – sie war die Rast seines Herzens! Und er hatte ihr weh getan! Wissend? Unwissend? Halbwissend? Deshalb schwieg sie ja! Darum! Aber wenn sie nun niemals mehr lachen und die Lippen aufmachen wird, um zu sagen: »Dich! Nur dich?«!
    Da traf ihn die Göttin zum zweitenmal! Verwandelt! Von der Seite. Wie ein gefährlicher Fels schnitt sich die Stirn in den Kristall des Himmels; die Nase, der Mund, das Kinn mit fast grausamem Kontur in das pralle Finster der Steineichen. Und das Licht, das, im Sterben verzehnfacht, sie beglühte, bebte vom dämmerigen Schimmer des Blutes, und mit Blitzen in diesem Schimmer zitterten die Frevel, die das Leben am Leben tut, um zu leben. Die Hand ihres Vaters Kronos, die den Urvater Uranos mordgierig verstümmelt hatte, schien wie ein Berg auf ihrer Krone zu liegen. Von der Erde auf, als wäre sie die Woge, in die des Uranos schreiendes Blut geflossen, ringelten sich mit Schlangenleibern, reckten sich mit Leopardentatzen, wuchsen mit qualligen Gliedern die Erinnyen, die Giganten und die melischen Nymphen über das Postament empor zum schaudernden Halse und zischelten: Rache! Trotzig, dennoch angstgebissen, wehrten sich die gerafften Züge. Aber die wahnsinnige Furcht der Mutter Rheia, die ihre Kinder von Kronos verschlungen sah und mit Zeus schwanger ging, preßte immer wilder, sich ringend wie eiserner Reif, die Errettung sehnende Stirn. Hilft keine List? Doch! In den Mienen der Tochter erschien sie nun, lösende Stärke, diese List der Mutter. Kronos verschlingt den Stein, den ihm Rheia vorwirft statt des geborenen Zeus, Zeus wächst heran; wirft den Vater in den Staub; der sündige Rachen speit die Kinder zurück, – und die Olympier sind! Jauchzt nun nicht Siegesruf um die entbundenen Schläfen? Nektar und Ambrosia, die Lippen süß öffnend, segnen den Mund: Zeus setzt den Stein, den Kronos erbrochen, in Pytho auf als ein Zeichen und Wunder den staunenden Menschen, und zu Delphi verkündet nun Apolls Pythia des Gottvaters allmächtigen Willen!
    Trotzdem! Senkt sich das Auge der Göttin nicht trotzdem? Warum weint sie? Warum gleitet der Flor des Schmerzes über

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