Goethe
die Zeichen des Sieges? Kommt Schatten? Der Tod? Nein! Die Schmach! O, daß, wer diesen Mund geküßt hat, nimmer frei blieb von der Gier auch nach anderen Küssen! Wer diesen Schoß gekostet hat, vom Trieb auch nach Kindern aus anderem! Und Paris versteht nicht den Durst der betrogenen Frau nach nur schmeichelndem Trost! So sinkt Hektor dahin – und Achill! Wie ein Krampf zuckt's, wie schüttelnder Ekel vor Leben und Gottsein durchs tiefelende Haupt: » . . . und Achill!« Und das Licht ist dahin.
Glanzlos, unlebendig jetzt, nimmermehr Seele der Hera, nur noch Bildnis von Künstlerhand, Kunstwerk, stand das Haupt vor dem Menschen. Aber auch der Sturm in der Brust des Menschen war verebbt nun. Die Not, das Bild durch die Dünste der Menschheitsgeschichte zu betrachten, der Zwang, bis in die tiefste Wurzel des Menschlichen hinab erschüttert zu werden von den Gesichten dieser Schau, fielen ab. Die Erinnyen wichen, der Qualm zerfloß. Und wie vor dem Apoll blieb allein ein Gedanke noch atmend: alles Leben befreit nur die Kunst! Furchtlos trat er vom Haupte weg. Furchtlos nahte er ihm wieder. Furchtlos sah er den Mann, der vom Walde gekommen war, dasselbe tun, ihm gegenüber. Ohne Absicht kam es, daß sie plötzlich, nur durch die Göttin geschieden, sich hörten; jetzt, daß sie, der eine dem anderen wie zugetrieben, nebeneinander standen. Mit schnell erhobenen Blicken maßen sie sich. Der Mann war hoch, in einen langen schwarzen Talar gekleidet; gelben Gesichts, dessen strenge Züge ein tief in die Brust niederfallender Bart ins Ungewisse verzerrte. Mit den knochigen Händen hielt er, vor dem Kinne, ein abgenutztes Buch in Schweinsledereinband. Die Augen, nun davon abgewendet, schienen den Geist des Gelesenen mit dem des Bildes zu vergleichen. Da, es war dieselbe Sekunde, in der Goethe und er frierend zusammenschraken: die Dämmerung war da. In der nächsten, in seltsam gleichzeitigem Antrieb, entfernten sie sich von dem Bilde, traten in den Garten zurück. Schritten lange zu zweit. Vor einem Rosenstrauch endlich, der noch Blumen trug, machten sie halt, drehten um: wie ein Stern im Himmel, der weder Nähe noch Ferne kennt, stand das Bild in der unabmeßbaren Geometrie des Raumes; bleich, jeder Lust ebenso ledig wie jedweden Leides; göttlich!
»Dies ist die edle Einfalt und die stille Größe der griechischen Kunst!«
Leidenschaftlich – also hatte er ihn doch endlich zum Reden gebracht! – fuhr Goethe auf. »Sie kennen Winckelmann?«
»Ich kannte ihn. Salus et pax ei! «
»Persönlich?«
»Ich war im Dienste des Kardinals Albani.«
Herzbange Pause.
Die schwarze Brust des fremden Mannes, im Widerstreit feierlicher Gefühle, hob sich. »In der Villa Albani,« sagte er mit knarrender Stimme, »stand lange das Tonmodell seiner Büste; in der Halle des Kasinos. Oft führte ich den erblindeten Kardinal hinauf. Er liebkoste dann die Züge seines unersetzten Gioachino. Er hat ihn außerordentlich geliebt. – Kannten Sie ihn?«
»Als er ermordet wurde, war ich neunzehn.«
»Sie sind zum erstenmal in Rom?«
Nicken.
»Noch nicht lange?«
»Einige Wochen.«
»Und haben natürlich schon alles gesehen?«
»Weniges.«
»Was?«
Sofort entspannten sich die gerufenen Züge. »Heute morgen den Apoll.«
»Und?«
»Und, merkwürdiger Weise,« – als ob es nun schon ganz sicher wäre, daß er Klarheit hier finden müßte, schaute er hell in den diamantenen Himmel hinauf – »nur die Wirkung des Ganzen. Die schöne Wahrhaftigkeit; die wahrhaftige Schönheit. Nicht aber das Einzelne. Kaum: den Apoll. – Hier hingegen, bis vor wenigen Augenblicken, nur die Hera. Warum?«
»Sie ist wie ein Gesang Homers!« stieß der Schwarze nach langem Zaudern wie gewürgt hervor. Der Blick grub im erdämmerten Kiese. »Viel einfacher als der Apoll! In der Kunst aber ist Einfachheit alles. Das Verbergen alles Unnötigen, Verschweigen alles Überflüssigen alles. Der Stoff muß bis auf seine Grundelemente entkleidet, bis auf den Typus jener Wesenheit zurückentwickelt werden, die allen Stoffen gleichen Charakters gemeinsam ist. Der Apoll aber ist ein bestimmt tätiger, in einer der unzähligen Regungen seines Wirkens tätiger Apoll.«
»Aber doch – schön?«
»In einem Blitz seiner Schönheit.«
»Und die höchste Kunst, glauben Sie, sei jene, die nicht diesen einen Blitz ausdrückt, sondern alle?«
Als ob Dolchspitzen in seinen Pupillen säßen, so scharf sah der Fremde ihn an. »Alle. Aber natürlich wiederum: in
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