Goethe
einem.« Unfreundlich klang es. »Dieser eine aber muß der urwesentliche, alle anderen mitenthaltende sein. Deshalb ist Einfachheit dasselbe wie Charakteristik des Typischen. Einfachheit in der Charakteristik der zufälligen Teilerscheinung ist gar nicht möglich. Nur im Typus wird der Teil verzehrt. Das gelang in dieser Hera. Und darum ist sie vom hohen Stil der Griechen. Aber« – und mit rücksichtslos höhnischem Lachen streifte er den Jungen, der mundoffen ihn anstarrte – »nicht deshalb hat der Apoll Sie weniger getroffen und gleich als das Schöne an sich ergriffen. Sondern, weil diese Hera der Urausdruck des Weibes ist! Das Ewig-Weibliche hat Sie, – hat den Mann gepackt!«
»Sie hassen das Weib?«
Nur ein Achselzucken. Hart zum Abschied drehte der Fremde um. »Ich weiß ja nicht, ob Sie ein Künstler sind?«
»Ich auch nicht! Aber, um Gotteswillen,« – heiß trat ihm Goethe in den Weg – »bleiben Sie doch! Reden Sie, sagen Sie!«
»Die Kunst«, lachte der Fremde grimmig in die erblichene Flur hinaus, »haßt das Wort. Braucht nur das Schweigen. Einsamkeit. Sammlung. Auge, Herz und Hirn in nichts anderes eingetaucht als einzig und allein nur in sie. Weg von der Welt! Vom Erleben! Vom Menschen! Und vom Weibe am meisten! Liebe, Leidenschaft, Lust schaffen Abhängigkeit. Abhängigkeit Nebengötter. Die Kunst verträgt keinen!«
»Ich fürchte mich aber . . .«
»Wovor?«
Atemlos: »Vor dem . . wie soll ich sagen? Vor dem Egoismus des Künstlers.«
»Warum sind Sie nach Rom gekommen?«
Ratlos!
Schrill lachte der Mann auf. »Man wird geboren zum Künstler, oder man wird nicht dazu geboren. Im ersten Fall aber kommt todsicher der Augenblick, da man, gepreßt wie eine Rose im Herbar, die Frage ausstoßen muß: Als was werde ich dem Ganzen – das mich doch geschickt hat! – besser dienen: als Künstler oder als, sagen wir, barmherziger Bruder? Wenn nun einen dieser Augenblick hier in Rom anfällt, und ich hoffe,« – daß der Boden bebte, stampfte er in den Boden: »ich erwarte , daß er ihn hier anfällt, – und er kommt nicht zur Entscheidung . . .«
»Dann?«
»Soll er Pinsel feilhalten in der via Merulana, wie ich. Gute Nacht!«
»Gehen Sie nicht!« Auf fliegenden Sohlen raste Goethe ihm nach. »Bleiben Sie! Reden Sie! Sie sind mir gesendet!«
In der Wollust des Spotts: »Ich bin niemandem gesendet!«
Die packenden Finger im grau gewetzten Talar drin, wie im Rausch flehte Goethe: »Doch! Sie sind es! Ich fühle es! Raten Sie! Helfen Sie! Bitte! «
»Es gibt nichts zu helfen.«
»Aber« – von bebenden Lippen, aus flackernden Augen: »Sie tragen da den ›Platon‹?«
»Ich bin ja kein Künstler!«
»Aber das Gesetz der Sittlichkeit?«
»Ah! Und das Heidentum, meinen Sie?«
»Es gibt, wie Sie gerade gesagt haben, zwei Gipfel des Menschlichen: den Künstler und den Asketen?«
»Und der Asket ist nie Künstler?«
»Also ein Heide nie sittlich?«
Teuflisch, denn er sah den riesenhaften Kampf, kicherte der Fremde. »Und die Griechen der Antike also . . .?«
»Von Jesus aus gesehen!« Mit ringendem Atem, gegen eine blutrote Scham: »Jesus war eben nachher! Und wir alle sind nachher!«
Daß der Talar sich bäumte, hob der Alte den gewaltigen Brustkorb. »Zum zweitenmal: Ich bin kein Künstler. Bin ein Sohn der katholischen Kirche.«
»Aber das Eine wissen doch auch Sie« – mit eisernem Leib stellte sich Goethe vor ihn hin –: »daß man nicht zugleich Priester der Kunst sein kann, und samaritischer Geist?«
»Wer nicht kann Mutter und Vater verlassen und Schwester und Bruder und Weib und Kind . . . .«
»Aber: um meinetwillen! heißt es, und nicht um der Kunst willen! Also heißt es gewiß auch: Wer nicht kann die Kunst verlassen um meinetwillen? « Verzweifelt ließ er die Arme sinken. »Mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin kein evangelischer Zweifler. Kein Herrnhuter. Kein Religiose. Aber« – und wie Glas im Orkan zitterte seine Stimme – »ich habe Pflichten. Menschen, die von mir abhängen. Mich brauchen. Denen ich das Bewußtsein von meinem helfenden Dasein angewöhnt habe. Die mit keiner Ahnung daran denken, daß ich da in Rom mit der plötzlichen Gewißheit herumirre: du bist auf dem Scheideweg! Wähle! Und wenn ich dabei nicht so ganz gewiß fühlte: ist's die Kunst, die mich wählt, dann gibt es kein Bleiben mehr bei den anderen! Dann gibt es nur noch: die Kunst! Und das ist: mich! Oder wissen Sie es anders?«
Wie ein Stein schwieg der
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