Goethe
vaccino hinab, – wer saß da? Zwei Stunden später stieg der gefundene Schweiger, nach ellenlangem Gespräch mit dem deutschen Professor über die schauderhafte Unsicherheit der deutschen Prosodie, mit diesem Professor die Treppe Michelangelos zurück. »Es wäre also eine Tat, und zwar eine bedeutende«, schloß er angelegentlichst, – er müsse um elf Uhr im Pantheon sein – »wenn Sie sich einmal der Vergleichung der Silbengesetze der klassischen Sprachen mit der Gesetzlosigkeit der deutschen widmeten. Ich schwitze Blut über meiner Iphigenie!«
»Ich finde nicht, daß er schweigsam ist,« prahlte darum Moritz am Abend bei Tische; ein vollkommen anderer Mensch war er seit dem Morgen. »Im Gegenteil.«
»Siehst du?« Einen wütenden Rippenstoß unterm Tisch versetzte Bury Schützen; wie ein Eifersüchtiger im Drama zischelte er. »Jetzt ist er schon hinweg über uns. Wir sind ausgeweidet. Also tranchiert er den Neuen!«
»Er hat mir geschlagene drei Stunden lang . . .«
Glatt verstummte Moritz; Goethe war eingetreten; kein Wort mehr wußte er zu sagen. »Sie sind auf dem Kapitol gewesen heute mittag?« platzte dafür um so lauter Bury los; sie erschraken allesamt, so begehrte er auf.
»Auch auf dem Kapitol,« erwiderte Goethe, im Nu sehr verlegen.
»Sie sagten aber, Sie gingen ins Pantheon?«
»Auch im Pantheon bin ich gewesen.« Und noch unsicherer hüstelte Goethe.
»Und ich auch. Den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag. Aber Sie nicht! Denn sonst hätte ich Sie sehen müssen!«
»Du bist ein loser Bursche!« Nur den Blick hob Tischbein; ein verdächtiges »Hm« hatte Herr von Goethe gemacht.
Und, wahrhaftig, nun, da Bury den Kopf verstockt senkte, kam es noch einmal; und nun noch ein drittes Mal, dies verdächtige »Hm«.
»Noch ein Löffelchen Frittura, Herr Geheimerat?« fragte Tischbein sehr fein, als das Schweigen schon rauchdick über den fünf Köpfen hing.
»Und dieses ist Falerner!« lockte Schütz nach fünf Minuten; der Herr Geheimerat, ohne »Mu« gemacht zu haben, aß weiter Frittura. »Famoser!«
»Es war ein ungewöhnlich warmer Tag!« wagte sich nach einem Viertelstündchen bang Moritz hervor; der Herr Geheimerat goß, ohne nur genickt zu haben, eben das fünfte Glas Falerner hinunter. »Man möchte nicht glauben, daß um die Mitte November . . .«
Da brach Bury in Weinen aus.
Im Augenblick erhob sich Goethe.
»Hysterisches Weib, du!« gab Schütz den Rippenstoß, aber viel wütender, zurück; mit zorniger Hand riß er das Kind in die Höhe. »Jetzt haben wir die Bescherung. Du, wenn du nicht schnurstraks deine zwei Stelzen jetzt findest und zu ihm hingehst und um Verzeihung bittest . . . !«
Aber anstatt Burys ging Moritz. Am ganzen Leib zitterte er. Hatte, um Gotteswillen, er den faux pas gemacht? »Herr Geheimerat«, stammelte er unter der mißlungensten Verbeugung, »ich möchte um alles in der Welt nicht . . .«
»Schlafen Sie recht gut, lieber Professor!«
Mundoffen, trotz dem liebreichsten Händedruck, vom Tisch an die Wand und wieder von der Wand an den Tisch schleichend, wankte Moritz aus der Tür.
»Ich kann nichts dafür!« Die Tür war kaum ins Schloß gefallen, und schon stand Bury vor Goethen. Jeder Muskel Aufruhr, Blitz in den schwimmenden Augen. »Ich liebe Sie, und lasse mich vom nächstbesten hergelaufenen Professor nicht über Nacht ausstechen!«
»Kinder!« Den eiligsten Schritt tat Goethe vor. Und mit der einen Hand Tischbeinen, mit der anderen Schützen erfassend, mit der übervollen Brust aber Bury vor sich herschiebend, strebte er nach der dunkelsten Ecke des Raumes. »Kinder, ihr müßt mir helfen! Ich bin in der Sixtina gewesen!«
»Ah!« Frei riß sich Bury. Ungeheure Erlösung. »Hab ich's nicht gesagt? Also doch!«
Groß, aus weit aufgerissenen Augen schaute Goethe ihn an. »Ja. Ich bin heute mittag in der Sixtina gewesen . . .«
»Und?« Jetzt verlor selbst Tischbein die Ruhe. Heute, nach dem Apoll von gestern, allein in der Sixtina ist er gewesen? »Und?«
Hilflos, während sich das Antlitz umwölkte: »Und – ich komm nicht vom Fleck! Weiß nicht, wie ich es anpacken soll, um in die Bilder der Decke zu geraten. Weiß es nicht!«
»Eigentümlich!« sagte Tischbein nach langer Pause, sehr leise.
»Nun, nun, nun?« Schütz nach der zweiten. Aber nicht mehr; der Falerner war prima!
Bury aber, wie ein Kreisel drehte er sich plötzlich auf den Füßen, daß ihm das Blondhaar um die Schläfen flog. »Und da hat dieses
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