Goethe
sie da ist! Hören Sie!«
»Wie die Madonna mit dem Kinde sieht sie aus!« Begeistert schwang die Stimme Goethes. Der Bann sinkt ab! Das Dunkel bricht! Die Wahrheit naht! Ein Künstler sein, heißt Priester sein! Den bittern Kelch gereicht bekommen! Kein Kampf erspart! Ein unbedingtes Muß, in höchste Tat des Sittlichen geleitet! »Wie die Madonna? Nicht?«
»'s war die Madonna!« Und, nicht mehr irdisch, wahrhaft schwörend, fuhr er fort: »Und da, auf diesem Steine, dicht bei ihm, ließ sie sich nieder. Und wissen Sie, was sie ihm sagte?«
»Verzeihen Sie!« Licht, nichts als Leuchten trotz dem Drang der Dämmerung, hob sich der Schauer von dem Seher weg. »Ich bin für nichts, was wahr ist, taub. Für Mystik aber . . .«
»Er hat's geschrieben! Hinterlassen!«
»Für Mystik aber rettungslos verloren!«
»Dort, überm Tore, die Madonna!«
»Ver – loren!«
Mit einer Hand, die Körperliches nicht mehr schied von Geistern, fuhr der entfachte Mann in Goethes Kleid. »Es ist ein Werk von seiner Hand! Das Kind blickt ahnungsschwer dem Kreuz entgegen. Die Mutter aber, – o! Nicht, weil der Engel kam, verrät der Busen unter tausend Schwertern, nein, weil ich lieben mußte, hab' ich dich geboren! Und nicht, weil du am Kreuz als Heiland stirbst, – nein, weil mein Kind stirbt, wird dies Herz einst brechen! Und dennoch, lachte sie, mein Michelangelo, – und dennoch hab' ich Gottes Welt erlöst! Obwohl ich liebte nur und Mutter war! Wer Werkzeug ist . .«
Das wieder war voll Sinn! »In Schöpfers Hand?«
»Der muß nur fühlen, daß er's ist, und folgen!«
»Und daß er's fühle?«
»Erbeten!«
»Nein! Erleben!«
»Oheim?« Da stand das Weib vor ihnen. Das Kind an der Hand. Und alles Wunderbare war dahin! Aus neugierig üppigem Munde lachte es Goethen an. Aus frechem und je silberner, je feindlicher der Alte sich zusammenzog, den Alten. »Ich hab Euch Milch gestohlen«, kicherte es, wie Vipernstich stach das den Alten; »und Hirse.«
»Und das halbe Zicklein,« grinste unverschämt der Knabe.
»Geh!« Mit einem Blitz von Blick verbrannte sie der Alte. »Gib auf den Buben acht!« Da fand die Hand, die zwischen Weh und Liebe sich dem Knaben in die Locken stahl, dort Goethes Hand. »Mach einen Mann daraus! Nicht einen römischen Gassenbuben!« stöhnte er. Und hart, die Finger traurig weggezogen: »Gute Nacht!«
»Sie lassen mich – allein?«
Kein Wort, kein Blick zurück. Hoch, lang und schmal, mit düster hilflosem Schritt schlich der Mann davon. Erst rasch. Dann, wie schon heimgekehrt in sein Alleinsein, gemessener, ja langsam. Je weiter fort er sich entfernte, umso langsamer und sicherer. Als er zuletzt – es schien, als ob er in den Lorbeer hineinschritte – dem Haus ganz nahe war, wuchs ihm der Schattenriß wie ein Phantom in den verlebten Himmel.
»Wie Michelangelo!« fuhr's kalt durch Goethen.
»Ihr geht auch nach der Stadt?«
Er hob den Blick; sah ängstlich: Zähne, die ihm lüstern blitzten.
Endlich, nach langem Zögern, wie betäubt, urbang – warum? – schritt er dem Weibe nach; die Hand noch immer in des Knaben Locken. »Da hab' ich nun nach Wochen wieder,« riß er sich angestrengt aus dem Chaos zurück, das unerklärlich streifend um ihn wallte, »ein Kind bei mir!« Aber, auf dieses kräftig ausgesprochene Wort hin quoll das Chaos nur umso dichter ringsum auf. »Und dennoch!« befahl er sich. »Zusammenhang, trotz allem Chaos, zwischen all und jedem! Der Platz, auf dem du stehst, ist schmal und grau. Und dennoch: durch das Korn der Erde schon, durch diesen Himmel, der darüber hängt, ist er der ganzen Welt, dem ganzen Sein verbunden. Wer nur recht fest auf dieser Erde steht, – er wächst von selbst, und unbewußt, »hinüber«. Es gibt kein Hier und Dort! Der Geist ist's, der dem Menschen Raum zumißt, die Zeit ihm leicht zur Ewigkeit ausweitet. Und ich, – ich bin, von Anfang an, Antäus! Oder? Bin ich's nicht?« Wirr fuhr er sich durchs Haar. Vielleicht, wer sich entschlossen von der Erde weg ins »Drübere« wirft, entdeckt von dort aus – auch die Erde? Und zwar: erst dort die wirkliche, die wahre? Doch woher stammt die unentdeckte Macht, die ihn –
Da blieb er stehen.
»Die mich, kaum daß ich nur durch einen Spalt in jenes »Drübere« blicke, schon wieder erdwärts reißt? Unwiderstehlich?«
»Ein edler Mann, der Oheim!« Voll Rührung sprach er's in die Nacht hinein. Eins war ja jetzt, trotz allem Chaos, klar: Ein Künstler sein, heißt: Priester sein! Und
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