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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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ein Leib in gefühllose Kissen zurück.
    Alles wußte Goethe!
    »Lesen Sie!« rief Moritz endlich; wie ein Wegweiser, an dem höhnisch ein Fetzen wirbelt, wuchs der Hemdarm aus dem Vorhang hervor. »Lesen Sie das!«
    Aber nicht mehr als drei Zeilen las Goethe; und ward Stein. Der kleine Tisch, der ihm den Ellbogen so felsenfest stützte, daß die Hand nicht beben sollte, wuchs zur Starre mit ihm. Weit offen schlief das Auge ein. Woher, zischte der getroffene Geist hinter der gespannt glatten Stirn auf, schickt mir der Zufall diese Pfeile des teuflischen Spiels? Woher mußte es geschehen, daß diesen Mann da drüben dasselbe Joch der Liebe zur Frau eines anderen würgt wie mich? Daß er diese Frau ebenso verlassen hat wie ich Charlotte? Und daß ihn auf einmal wieder die Furien ebenso erbarmungslos peitschen wie mich?
    »Ich ertrage das nicht!« schrie Moritz auf, mit verzweifelten Zähnen biß er das Kissen.
    Und daß, kreischte der getroffene Geist in der gekrampften Brust drinnen auf, dieser Mann da von dieser Frau Buchstaben für Buchstaben denselben Brief heute bekommt, wie ich vor Tagen von Lotte?
    »Zurück! Nach Deutschland zurück!« raste Moritz, als ob ihm ein Eisen zwischen den Rippen säße; »sobald ich aus dem Bette bin!«
    »Rom wird Sie heilen,« sagte hohl, ohne jede Stimme Goethe; er erhob sich.
    »Ausgeschlossen!«
    »Es muß Sie heilen!«
    »Während sie sich da oben in Gram und Wut verzehrt?« Toll schoß der Gefolterte aus den Kissen. »So helfen Sie, helfen Sie doch!« Haß verzog die ohnmächtige Miene. Wie konnte ein Mensch vor solchem Jammer des anderen wie eine hölzerne Stechschrittpuppe, die Hände auf dem Rücken, auf die Kommode zuschreiten, um Hut und Mantel in die schon bereite Hand zu nehmen? »Sagen Sie doch etwas! Ein Wort nur! Irgendeins!«
    Den Mantel auf dem Arm, den Hut in der Hand, kam Goethe an das Bett zurück. »Es ist eines unter den vielen dunklen Losen des Mannes«, antwortete er nach unerträglich langem Herabschauen auf den Mann, dessen Aufruhr sich schon wieder in die Ergebung des getretenen Hundes zurückgebeugt hatte, »mit dem Geiste die völlige Freiheit suchen zu müssen von allem, was ihn hindert am Erklimmen der Spitze, – und mit dem Gemüte immer wieder nach Liebe verlangen zu müssen, die ihn fesselt und engt. Auf der einen Seite: die höchste Leistung, – auf der anderen: das Glück, wie es das Weib auch erlebt! – Ich bin morgen wieder da. Vergessen Sie das Pulver nicht zu nehmen! Gute Nacht!«
    Bleich, verstört, das Haar in kleistrigen Strähnen in der Stirn drin, kam er nach Hause. »Endlich!« flog ihm, er war im Vorsaal kaum eingetreten, Bury wie eine Flamme entgegen. »Ich warte seit Mittag! Kommen Sie! Schnell! Ich habe etwas gemacht für Sie! Aber behalten Sie den Mantel an! Es ist hundekalt drinnen!«
    Doch der Versteinerte ließ ihn nicht frei. Mit sinnlosen Händen hielt er den Burschen an sich; grub die Hände immer zupackender in den Samtflaus, bog das atemlose Gesicht immer gieriger hinaus in das Dunkel über der jungen Schulter. »Fritz!« stieß er auf einmal ohne Bewußtsein heraus. »Du, mein lieber, junger Fritz!« wollte er rufen, schreien, ja, jetzt explodiert dieser zum Bersten angefüllte Vulkan, Wochen von Qual, vergällter Wonne, Nachtschwarz und Morgenfalsch schießen in die Luft auf, – da trat Tischbein aus der Stubentür. Wütend, wie ein gestörter Liebhaber stemmte Bury sich auf: »Na nu? Also? Was ist?«
    »Lieber Tischbein!« flötete im selben Augenblick, vollkommen hergestellt, Goethe; er hängte soeben den Mantel an den Haken. »Was bringen Sie?«
    »Wie wär's, Herr Geheimerat«, – Tischbeins Stimme kannte keine Verlegenheiten – »wenn wir uns jetzt, bei Nacht, die Medusa anschauen möchten?«
    Blitzschnell griff die Hand Goethes nach der Tür. »Ausgezeichnet!«
    Eine Stunde später, bei voller Nacht, – Bury oben, allein gelassen, schmierte sein herzliches Kunstwerk: Iphigenie schlägt des Thoas Werbung aus, zum Klecks zurück – traten die zwei Männer aus dem Palaste Rondanini in den Korso zurück. Schritten den Korso hinab. Pechschwarz gähnte dieser. Die Milliarde der nackten Sterne im samtblauen Himmel beglitzerte ihn von oben. Von unten die Lämpchen vor den Muttergottesbildern und die Lichter der Budenhälter. Zwischen diesen zwei Zonen: den Gesimsen der Paläste, die in nobler Ruhe schimmerten, und den Quaderzeilen der Erdgeschosse, die im Flackerstrahl zuckten, rann der Strom der Finsternis

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