Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
erstatten?«
»Nein, nein, ich kenne den Kerl,
seine Schwester ist eine Studentin in meiner Klavierklasse, traurige Geschichte,
sie sitzt im Rollstuhl, schwierige Familie, na ja, sie hatte Glück, hat ein Stipendium
bei uns bekommen. Rico kümmert sich sehr um seine Schwester, aber er selbst kommt
nicht weiter, arbeitslos und so …«
»Moment mal«, Hanna stieß aus Versehen
gegen die Whiskeyflasche, sodass diese fast umgefallen wäre, »diese Familie kenne
ich doch!«
»Woher?«
»Hendrik hat von denen erzählt,
Rico und seine Schwester sind, glaube ich, als Zeugen im Todesfall Fedor Balow vernommen
worden.«
»Ach …«
»Wohnen die in Tiefurt?«
»Ja, in der Hauptstraße.«
»Genau, dann sind sie Nachbarn von
diesem Balow.«
»Okay, deswegen sind die befragt
worden, ob sie was gesehen haben und so weiter.«
»So wird’s wohl sein«, sagte Hanna,
»Weimar ist ein Dorf. Warum hatten die eigentlich alle grüne Hemden an?«
»Die haben den Sieg ihrer Fußballmannschaft
gefeiert und hatten alle ein grünes Trikot an, das sind die Farben des Vereins,
du weißt schon, wie die Kerle so sind …«
Hanna nickte nachdenklich. »Hendrik
hat derzeit ein Problem mit dieser Farbe.«
»Was?«
»Ich habe dir doch von der Schlägerei
im Gefängnishof erzählt und dem Mann im grünen Hemd …«
»Okay, verstehe.«
»Kann ich noch ein paar Tage bei
dir bleiben?«
»Natürlich.«
Hanna hob den Kopf und sah Cindy
an. »Ich will ehrlich sein, die Polizei sucht nicht nur Hendrik, sondern auch mich!«
»Oh, no!«
»Angeblich soll ich auch in den
Mord verwickelt sein.«
»What a bullshit!«
Da Hanna in der DDR keinen Englischunterricht
gehabt hatte, fiel es ihr oft schwer, Cindys amerikanische Ausdrücke zu verstehen.
Dieser jedoch war klar.
»Ich wurde gewarnt, deswegen musste
ich von zu Hause weg.«
»No problem, du bleibst natürlich
hier.«
»Denk aber dran: Du machst dich
damit strafbar.«
»Sorry, was heißt strafbar ?«
»Nun ja«, stotterte Hanna, »das
… das ist nicht erlaubt, du kannst dafür bestraft werden.«
»Ha«, rief Cindy, »das ist mir egal,
du bleibst hier!«
»Danke.«
»War das alles?«
»Wie, alles ?«
»Mit Hendrik?«
Hanna zögerte.
»Habt ihr gestritten?«
Hanna sah zum Fenster hinaus ins
Dunkle. »Ja.«
»Come on, erzähl es mir.« Cindy
legte ihre Hand auf Hannas Arm. »Bitte.«
Sie sah Cindy traurig an. Ihre schönen
blauen Augen waren zu dunklen Strichen geworden. »Meine Mutter ist krank. Sehr krank.
Dann dieser ganze Polizei-Mist und ausgerechnet jetzt macht er mir einen Heiratsantrag.«
»Oh, shit!«, entfuhr es Cindy. »Sorry,
solche Worte benutze ich sonst nicht oft.«
Hanna winkte ab. »Und dann noch
mit ungewaschenen Haaren, einem eingelaufenen, hässlichen Bademantel und einer gelben Rose!«
»Oh, no! Ist er verrückt, der Kerl?«
Cindy schüttelte heftig den Kopf, sodass ihre blonden Haare hin und her geschleudert
wurden.
»Moment, das Schlimmste kommt erst
noch. Dann habe ich gesagt, ich kann ihm jetzt keine Antwort geben, ich habe ja
nicht abgelehnt, nur verschoben, verstehst du, und da hat er mich rausgeworfen!«
»Rausgeworfen?«
»Ja, aus dem Raum geworfen, rausgeschmissen,
piss off!« Hanna wusste selbst nicht, woher sie plötzlich diesen Ausdruck kannte.
Cindy wurde blass. »Hanna, bitte
beruhige dich …«
»Nein, ich will mich aber nicht
beruhigen! Das ist doch unverschämt, oder?«
»Ja, nun, ich mag Hendrik sehr,
aber da hast du recht!«
»Immer macht er solche komischen
Heiratsanträge, mit denen kann ich nichts anfangen, verdammt noch mal!«
Cindy trank ihren Whiskey aus und
zog die Augenbrauen hoch. »Was hast du eben gesagt? Immer macht er solche komischen
Heiratsanträge?«
Hanna starrte wieder aus dem Fenster
hinaus. »Ja«, sagte sie leise, »er hat mir schon einmal einen Antrag gemacht, vor
zwei Jahren, als er in die neue Wohnung gezogen ist. Er dachte wohl, ich könnte
dort mit einziehen, aber ich musste meiner Mutter beistehen, sie war mit der Krankheit
meines Vaters total überfordert, das hat Hendrik damals ja auch eingesehen.«
Cindy sah sie entsetzt an. »Du hast
Hendrik zweimal eine Abfuhr … gegeben?«
»Quatsch, zweimal verschoben nur
…«, antwortete sie etwas unsicher.
Cindy erhob sich. »Liebst du ihn
noch?«
»Willst du eine ehrliche Antwort?«
»Natürlich.«
»Ich weiß es nicht.«
*
Der hagere Mann dachte an seine Mutter. Sie hatte sehr bewusst gelebt,
kannte sich gut in Gesundheitsfragen aus,
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