Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Idee, wer wohl mit ›seine‹ gemeint ist? Der Schreiber
selbst?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung
… aber der Schreiber selbst, das glaube ich nicht, dann hätte er ›meine‹ geschrieben.«
Benno fuhr sich mit der Hand durch
den Bart.
»Sollen wir noch mal nach ›Frauenstein‹
suchen?«, fragte ich.
»Können wir machen, das wird aber
wohl nicht mehr ergeben als bei meiner ersten Recherche.«
Und so war es. Einmal erschien der
Stadtteil von Wiesbaden, dann der Ort im Erzgebirge und die Burg in Österreich.
Wir durchsuchten jede Menge Webseiten nach brauchbaren Hinweisen, die auf irgendeine
Weise mit dem Mord an Fedor Balow oder mit mir zu tun haben konnten. Weder im Erzgebirge
noch in Österreich fand sich der geringste Zusammenhang. Als wir uns durch die Wiesbaden-Informationen
wühlten, rief ich plötzlich: »Halt!«
»Was ist?«
»Da, Goethe!«
»Da, Goethe«, wiederholte Benno
mit einem spöttischen Unterton, »nun lass mal den Alten, wir suchen einen Mörder.«
»Ja, eben, schau doch mal, Goethe
weilte mehrmals zur Kur in Wiesbaden, das ist bekannt. Aber hier …«, ich zeigte
auf den Bildschirm, »hier im Stadtteil Frauenstein gibt es eine Steinpyramide, die
einen Aussichtspunkt markiert, an dem sich Goethe nachweislich aufgehalten hat.
Auch das zugehörige Zitat von ihm ist vermerkt.«
Diese Begierde, die Pyramide meines Daseins, deren Basis mir aufgegeben
und gegründet ist, so hoch als möglich in die Luft zu spitzen, überwiegt alles andere .
»Leicht arrogant«, meinte Benno.
»Ja, wie so oft bei ihm …« Ich hielt
inne. Benno sah mich fragend an.
»Die eine Zeile des Kassibers: ›Nun
stehst auch du da wie ein Tor‹, das klingt doch sehr nach Faust, oder?«
Er stand auf und begann, aufgeregt
im Zimmer umherzugehen. »Wie lautet das Original?«
»Im Original heißt es: ›Da steh
ich nun, ich armer Tor‹.«
Wir spürten beide diese besondere
Stimmung, diese Minute, die einem sagt, dass etwas Entscheidendes passiert ist.
Die Minute der Erkenntnis. Ein weiterer Espresso war fällig.
»Du könntest recht haben …«, sagte
Benno.
»Ja, es hat mit Goethe zu tun!«,
konstatierte ich. »Dann könnte sich ›seine ‹ auf Goethe beziehen, und ›seine
Lieben ‹ wären die zahlreichen Frauenbekanntschaften.«
»Ach, bitte nicht schon wieder!«
»Tut mir leid, ich habe mir das
nicht ausgesucht.«
Benno hob zustimmend die Hand. »Gibt
es bei Goethe irgendwo eine Figur, die sich ›Jänder‹ nennt?«
»Nein.«
»Sicher?«
»Wenn du mir nicht glaubst, dann
such doch im Internet.«
Er glaubte mir tatsächlich nicht
und gab ›Jänder‹ und ›Goethe‹ ein: keine Einträge. Auch nicht in Verbindung mit
›Jändertanz‹. Ich grinste triumphierend, er schlug mir kurz und trocken auf die
Schulter.
»Und jetzt suchen wir noch einmal
nach ›Gregor‹.«
»Gut.«
Die beiden Gregor-Einträge fanden
wir wieder, sonst war mit dem Kürzel ›BB618c‹ nichts anzufangen. Wir suchten eine
weitere halbe Stunde ohne Erfolg. Nachdem kurz vor Mitternacht alle meine zwölf
Espressotassen im Spülbecken standen, beschlossen wir, schlafen zu gehen. Die neue
ECM-4 hatte sich bewährt.
Zuvor schloss ich die Balkontür.
Als ich auf den Rollplatz hinunterblickte, blieb mir fast die Luft weg: Im Außenbereich
der Brasserie saßen drei Männer und tranken Bier. Alle drei trugen ein grünes Hemd.
7. Kapitel
Sonntag, 29. August 2004. Der Tag, an dem Hanna zum ersten Mal Whiskey
trank.
Hanna wusste, dass sie sich auf Cindy Valentine verlassen konnte. Selbst
als sie am Freitag spät abends in der Geleitstraße vor der Tür stand, zögerte Cindy
keinen Moment, sie hereinzulassen. Hannas seltsamer Aufzug mit Schirmmütze und Rucksack
erstaunte ihre Freundin zwar, doch es blieb keine Zeit mehr an diesem Abend für
lange Erklärungen. Cindy musste am nächsten Tag früh aufstehen. Sie leitete eine
Studentenexkursion nach Eisenach – Wartburg und Bach-Museum. John war für zwei Wochen
in Texas.
Hanna traute sich den gesamten Samstag
über nicht aus dem Haus. Sie schaute ab und zu vorsichtig aus dem Fenster, hinunter
auf die Geleitstraße, um nach den Anzeichen einer polizeilichen Suchaktion zu spähen,
glücklicherweise konnte sie nichts erkennen. Die Stadt war voller Touristen, alles
schien normal, wie jedes Wochenende, der Grill am Goetheplatz qualmte, die Rostbratwürste
brutzelten, nichts ließ erkennen, dass eine gewisse Hanna Büchler gesucht wurde.
Allerdings war sie sich
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