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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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vergaß. Anschließend ging ich in die Kantine, aß
eine große Terrine Erbsensuppe, die konnte ich gut mit einer Hand löffeln, und diskutierte
dabei mit zwei Kollegen über die Studenten von heute – ein Thema, das wohl schon
zu Goethes Zeiten heiß geliebt wurde. Irgendwann befanden sich die Kollegen in der
immerwährenden Schleife des Jammerns und Klagens, worauf ich beschloss, meinen Kaffee
lieber im Frankfurter Stadtwald zu genießen, im Café ›Goetheruh‹. Mit der S-Bahn
zum Mühlberg, von dort 20 Minuten gemütlich zu Fuß.
    Die Spätsommersonne meinte es gut
mit mir, 28 Grad im Schatten, ein leichter Wind kam vom Sachsenhäuser Berg herüber.
Ich gönnte mir ein riesiges Stück Schwarzwälder Kirschtorte, vier Tassen Espresso
und die Frankfurter Rundschau.
    Drei Stunden später verließ ich
das Café. Die warme Abendsonne fiel in den Frankfurter Stadtwald, scharfe Schatten
zeichneten sich auf dem Waldboden. Ich stand direkt vor dem Goetheturm, einem etwa
40 Meter hohen Holzturm, von dem man eine wunderschöne Aussicht auf die Stadt Frankfurt,
die Hochhäuser und den Grüngürtel hatte. Als Kinder und Jugendliche hatten wir hier
viel Zeit verbracht, von Offenbach aus war der Turm mit dem Fahrrad gut zu erreichen
und in der Nähe gab es einen großen Spielpark. Ich stieg die Eingangstreppe hinauf,
die Holztür stand offen, und erklomm langsam, aber stetig die Treppe im Inneren
des Turms, ohne anzuhalten, bis ich die Aussichtsplattform erreicht hatte. Niemand
war mir begegnet, auch die Plattform war menschenleer. Ich genoss es, eine Weile
allein zu sein, und ließ meinen Blick über die Skyline schweifen. Die Faszination
dieser Stadt konnte wohl nur derjenige verstehen, der Frankfurt gut kannte, hier
lebte und mindestens einmal im Leben hier oben gewesen war.
     
    Über allen Gipfeln
    Ist Ruh,
    In allen Wipfeln
    Spürest Du
    Kaum einen Hauch;
    Die Vögelein schweigen im Walde,
    Warte nur, balde
    Ruhest Du auch.
     
    Wandrers Nachtlied – eines der schönsten Gedichte von Goethe. Ich sprach
es leise vor mich hin, rezitierte es in den Abendhimmel hinein, langsam und bedächtig.
    Ein lauter Schlag vom Fuß des Turms
riss mich aus meinen Gedanken. Neugierig lehnte ich mich über die Brüstung und sah
hinunter. Ein Mann in dunkler Kleidung hatte das Holzgatter, mit dem der Zugang
zum Turm abends verriegelt wird, zugeworfen und hantierte mit einem Schlüsselbund.
Ich blickte erstaunt auf die Uhr: kurz vor acht. Um 20 Uhr wurde der Turm geschlossen.
Ich wollte nach unten rufen, auf mich aufmerksam machen, doch in diesem Moment überquerte
– wieder einmal – ein Jumbojet den Stadtwald. Ich hörte auf zu rufen, der Mann hätte
mich sowieso nicht gehört. Alle Einwohner von Frankfurt-Süd und Offenbach kennen
diesen Effekt. Man wohnt eben zu nah an der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens.
Einen Moment lang machte ich mir Sorgen, dann lächelte ich über mich selbst. Als
Jungs waren wir abends in der Dämmerung oft über das Gatter geklettert, um den Goetheturm
zu entern und in Besitz zu nehmen, so wie richtige Piraten. Auch im fortgeschrittenen
Alter von 49 Jahren würde ich das wohl noch schaffen. Meinen Gipsarm hatte ich in
diesem Moment vergessen.
    Die Sonne verschwand hinter ein
paar Wolken, die Dämmerung setzte langsam ein, es wurde kühl. Ich zog meinen Pullover
an, den ich vorher locker über die Schultern geworfen hatte, und begann den Abstieg.
Als ich mich fünf Minuten später dem verschlossenen Holzgatter näherte, sah ich
ein weißes Blatt, das von innen daran befestigt war. Ich dachte noch, dass es doch
seltsam wäre, eine Bekanntmachung innen zu befestigen. Als ich die dicken, grünen
Lettern sah, wusste ich sofort, dass diese Bekanntmachung für mich war:
     
    Nun stehst auch Du am geschlossen
Tor!
    Seine Lieben gehen vor,
    Frauenstein und Jändertanz
    Sind nun Deine letzte Chance!
    BB618c
     
    *
     
    Der hagere Mann hatte sich unter die Trauergäste auf dem Oberräder
Waldfriedhof gemischt. Er war nie zuvor in Frankfurt am Main gewesen und wunderte
sich über das viele Grün, die zahlreichen Gärten und den schönen Stadtwald. Das
hatte er nicht erwartet. Auch der Friedhof war wunderschön, mit vielen alten Bäumen,
ein wahrer Ort der Ruhe. Lediglich die Flugzeuge, die im Abstand von wenigen Minuten
über die Gräber hinwegdröhnten, störten ein wenig. Offensichtlich befand man sich
hier nahe der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens. Die Grabrede gefiel ihm,
auch wenn er einiges

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