Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Flucht? Schaffte ich den Weg bis zur Flurtür?
Vor mir auf dem Küchentisch stand die Flasche Bier, die ich vergangene Nacht verschmäht
hatte. Ich konnte nicht mehr warten, musste etwas tun.
Ich griff die Flasche fest am Hals.
Der Eindringling rechnete offensichtlich nicht damit, dass sich jemand in der Küche
aufhielt. Das war mein Vorteil. Ich holte blitzschnell aus und schleuderte die Bierflasche,
so kraftvoll es ging, gegen den großen Schatten.
Der Mann war wendig. Er duckte sich
weg und die Flasche flog mit einem Riesenknall in die Scheibe. Dann ging alles sehr
schnell. Ich schoss hoch und wollte mich in Richtung Flur in Sicherheit bringen.
Kaum hatte ich die Küchentür aufgerissen, stieß ich mit Hanna zusammen.
»Weg hier!«, schrie ich.
Sie stieß einen spitzen Schrei aus,
ich rannte sie fast um, es gelang mir aber noch, die Küchentür zuzustoßen und den
Schlüssel umzudrehen.
Wir hielten uns in den Armen, lehnten
im Flur an der Wand und wagten kaum, Luft zu holen. Aus der Küche waren keine Geräusche
zu hören. Was hatte er vor?
»Geh ins Schlafzimmer zu deiner
Mutter«, flüsterte ich. Meine Stimme zitterte. »Schließ Tür und Fenster und rühr
dich nicht!«
»Hendrik?«
»Bitte geh!«
Hanna löste sich widerwillig aus
meiner Umarmung und ging in Richtung Schlafzimmer. Im Dunkel sah ich noch, wie sie
etwas von der Kommode im Flur nahm.
»Nun mach schon!«, presste ich hervor.
Hoffentlich hatte Hannas Mutter nichts mitbekommen.
Ich schlich zur Haustür. Nichts
zu hören, nichts zu sehen. Ah – die Kellertür! Wie ein Besessener rannte ich zum
anderen Ende des Flurs und horchte durch die Tür in den Keller hinein. Alles ruhig.
Vorsichtig, ohne ein Geräusch zu verursachen, drehte ich den Schlüssel herum. Geschafft.
Ich wartete. Ich horchte. Ich zitterte.
Meine einzige Verteidigungswaffe bestand aus einem Besenstiel, der im Flur darauf
wartete, einen alten Stiel im Keller zu ersetzen. Aber was konnte man mit einem
einfachen Besenstiel schon anfangen? Ich stand im Flur und lauschte. In solch einer
Situation kann man kaum sagen, wie schnell die Zeit vergeht. Sekunden, Minuten und
Stunden werden zu einer grauen, klumpigen Knetmasse. Wollte der Mann überhaupt noch
einmal ins Haus eindringen? Schließlich wusste er ja nun, dass er erwartet wurde.
Und was wollte er eigentlich?
Dann hörte ich wieder dieses Kratzen.
Woher kam es? Schwer zu orten … von oben. Verdammt, er kam über den Balkon im ersten
Stock!
Im selben Moment hörte ich Stimmen
aus dem Garten: »Polizei, bleiben Sie stehen!« Es fiel ein Schuss. Dann war Ruhe.
Ohne dass ich sie bemerkt hatte,
stand Hanna neben mir im Flur. Sie hatte sich den Bademantel ihres Vaters übergeworfen.
Ich legte meinen Arm um ihre Schultern. Von draußen kamen Schritte über die Terrasse.
»Hendrik?«
Diese Stimme kannte ich. »Hier sind
wir, Siggi!«
Ich öffnete die Küchentür und schaltete
das Licht ein.
»Mann, Siggi, sind wir froh, dich
zu sehen!«
»Verdammter Mist«, fluchte Siggi,
»er ist uns entwischt!«
Hinter ihm tauchten mehrere Kollegen
auf. Hanna zitterte am ganzen Körper. »Ich sehe mal nach Mutter.«
Auch ich musste mich erst wieder
fangen. Siggi telefonierte mit der Spurensicherung. Hanna kam zurück, sie lächelte:
»Mutter schläft fest, sie hat von alldem nichts gehört. Ihre Atmung ist ruhig, es
scheint ihr besser zu gehen.« Ich nickte ihr erleichtert zu. Sie begann, Kaffee
zu kochen.
Siggi setzte sich auf die Eckbank.
Ich war zu nervös, wollte lieber
stehen bleiben. »Wie kommt ihr eigentlich hierher?«, fragte ich Siggi.
Er sah mich erstaunt an. »Ihr habt
doch die Notrufzentrale angerufen!«
Hanna. Das Telefon auf der Kommode
im Flur. Sie hatte nichts gesagt, typisch Hanna, ich nahm dankbar ihre Hand. Die
Kaffeemaschine blubberte vor sich hin. Ich bekam Sehnsucht nach einem Espresso.
»Das war offensichtlich der Mörder«,
sagte Siggi, »er hat dich gesucht.«
»Er braucht sich keine Sorgen mehr
zu machen«, sagte ich, »der wichtigste Hinweis auf den Täter ist gestern Abend in
der Anna Amalia Bibliothek verbrannt.«
»Tatsächlich? Dieses BB618c-Dokument?
Woher weißt du das?«
Ich erklärte Siggi kurz den Sachverhalt.
»Vorausgesetzt, er weiß das«, meinte
Siggi.
»Der weiß doch alles.« Ich war frustriert.
»Auf jeden Fall wirst du ihm zu
gefährlich, Hendrik!«
»Meinst du? »
»Na klar! Überleg doch mal, was
der vorhin hier wollte? Dich freundlich wecken, oder was denkst du?«
Ich sah ihn
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