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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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herunterkommen, Busche winkte nur verächtlich
ab. Von oben fielen bereits Teile der Dachkonstruktion herunter, brennende Holzbalken,
zum Glück nur in der Mitte des Saals. Von der ersten Galerie aus blickte ich in
den verrußten Innenraum. Fast alle wertvollen Gemälde und Büsten waren bereits hinausgetragen
worden, es sah gespenstisch aus. Busche brüllte mich an, wir hätten keine Zeit mehr,
ich folgte ihm, er fand das Regal. Es stand in Flammen. Die Kartons rundherum: Alles
brannte lichterloh. Ich wollte verzweifelt nach einem der Kartons greifen, mit bloßen
Händen, aber Busche zog mich weg und gab mir eine Ohrfeige. Später würde er vielleicht
einmal sagen, dass er sich darauf schon lange gefreut hatte, in diesem Moment war
es aber nicht mehr als eine Zweckhandlung. Ich folgte ihm taumelnd nach unten, und
wir retteten uns irgendwie durch den Hintereingang nach draußen in den Ilmpark.
Busche bugsierte mich unter einen großen Baum und meinte, ich solle hier warten
und mich ausruhen, er müsse sich um die anderen Bücher kümmern. Ich nickte geistesabwesend.
In Gedanken sehe ich noch genau sein Gesicht, schwarz von Ruß. Und am Ende blieb
die Erkenntnis, dass BB618c für immer verloren war.
    Wie konnten Hanna und ich diese
Situation ertragen? Die Last der verlorenen Hoffnung. Dazu den Tod der Mutter vor
Augen, die Schwester, eben noch gewonnen, nun vielleicht wieder verloren. Und den
Tod des Vaters noch nicht vollends wahrgenommen, geschweige denn verarbeitet. Onkel
Leos Bild des Urvertrauens kam mir wieder in den Sinn. Nur so konnte es gehen: Vertrauen
in uns selbst. Aber es war schwierig, in dieser Nacht etwas Positives zu finden.
Meine Gedanken kreisten in solcher Situation oft um Bilder aus der Jugendzeit. Offenbach,
meine Eltern, meine Freunde, meine Schule. Eine Lehrerin, Frau Janke, sie hatte
oft gesagt: ›Auf der Suche nach den Dornen findet man keine Blüten.‹ Aber wo waren
die Blüten? Immerhin war geklärt worden, wie unsere Fingerabdrücke in Balows Wohnung
gekommen waren, gut. Das Misstrauen zwischen Siggi und mir war ausgeräumt, sehr
gut. Gar nicht so wenige Blüten. Und – das Wichtigste: Hanna und ich hatten uns
wiedergefunden, hatten das gegenseitige Urvertrauen wiederentdeckt – eine wunderschöne,
leuchtende Blüte.
    Während mir diese Gedanken durch
den Kopf gingen, hatte ich mich auf den längeren Teil der Eckbank in Büchlers Küche
gesetzt. Ich dachte noch, Hanna hätte irgendetwas gesagt. Aber ich konnte es nicht
mehr hören, denn ich lehnte mich zur Seite und schlief ein.
     
    Viele meiner Freunde wissen, dass ich ein Spezialist für vergessene
Verabredungen bin. Was die meisten jedoch nicht wissen: Ich bin auch ein Spezialist
für Albträume. Grausame Albträume. Ein Schlafforscher am Uniklinikum Frankfurt hatte
mir einmal erklärt, dass Albträume vorwiegend in der zweiten Nachthälfte auftreten,
in den sogenannten REM-Phasen, und dass diese unverarbeitetes Tagesgeschehen, Stresssituationen
oder psychische Probleme aufarbeiten. Oft stehe ich dann am Rande einer hohen Felswand,
nachts, hinter mir dunkler Wald, unter mir ein kleines, erleuchtetes Dorf, das sehr
gemütlich aussieht, das mich magisch anzieht. Dann breite ich meine Arme aus und
… Ich hörte ein Geräusch. Eine Art Kratzen. Ich wusste sofort, dass es nicht zu
meinem Albtraum gehörte. Ich kannte diesen Traum, hatte ihn schon viele Male geträumt.
Noch nie hatte es darin irgendein Geräusch gegeben.
    Sofort war ich wach. Es dauerte
einen Moment, bis ich wusste, wo ich mich befand: in Büchlers Küche. Ein Tier? Draußen
war es noch dunkel. Ich streifte vorsichtig die Decke ab, die Hanna über mich gelegt
hatte. Wieder dieses Kratzen. Es kam aus Richtung der Terrasse. Von Büchlers Küche
gelangte man durch eine breite Flügeltür direkt nach draußen. Ich hob vorsichtig
den Kopf. Nichts. Die Tür war geschlossen. Ich setzte mich und starrte durch die
Glasscheibe nach draußen, bemüht, etwas zu erkennen. War da eine Bewegung? Nein.
    Doch. Ein dunkler Schatten. Eine
schwarze Hand.
    Gedanken schossen mir durch den
Kopf. Waffe. Telefon. Polizei. Hanna …
    Die schwarze Hand schien durch die
Scheibe zu greifen und öffnete von innen die Verriegelung. So etwas gibt es doch
nur im Traum. Als ein großer, schmaler, menschlicher Schatten hinter der Scheibe
erschien, war mir endgültig klar, dass dies Realität war. Langsam schwang die Tür
auf.
    Ich musste etwas tun. Ich sah mich
um. Die Messer waren zu weit entfernt.

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