Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
fragend an.
»Dann schau mal, hier.« Seine Stimme
bebte leicht. Er öffnete behutsam mit dem Ellenbogen die Terrassentür. »Vorsicht,
nichts anfassen und nirgends drauftreten, schau nur mal durch die Tür, da rechts!«
Er zeigte auf einen seltsamen Gegenstand, der auf der Terrasse neben einem Stuhl
lag.
Erst beim näheren Hinschauen erkannte
ich es: ein Handschuh. Es war jedoch kein normaler Handschuh, sondern einer aus
Metall.
»Einer der Kollegen meint, das sei
ein Kettenhandschuh«, sagte Siggi, »wird in Schlachtbetrieben genutzt beim Ausbeinen,
um die Hände zu schützen. Er hatte mal einen Fall im Schlachthof Erfurt.«
Unwillkürlich zog sich mein Hals
zusammen. Ich versuchte zu schlucken, aber es funktionierte nicht.
»Danke«, presste ich hervor.
»Schon gut, ist ja mein Job. Mir
wäre es noch viel lieber gewesen, wir hätten ihn erwischt. Der Mann ist extrem schnell
und wendig. Und er hatte Glück. Meine Kugel hat den Kirschbaum getroffen. Dann ist
er da hinten im Gebüsch untergetaucht, Richtung Silberblick.«
Ich versuchte, etwas kaltes Wasser
zu trinken, aber mein Hals war immer noch wie zugeschnürt.
Hanna hatte den Kettenhandschuh
zum Glück nicht gesehen. Sie verteilte Kaffee. »Übrigens, Hendrik, mir ist heute
Nacht etwas eingefallen. Der Vortrag zur Steinkunde von diesem Herrn …«
»Schwabe.«
»… genau, der wurde doch in Jena
gehalten, oder?«
»Ja.«
»Es wäre doch gut möglich, dass
die Uni davon eine Kopie hat?«
»Hmm, wäre möglich, aber solch ein
spezielles Thema, ich weiß nicht …«
»Wenn überhaupt, dann muss es schnell
gehen«, sagte Siggi, »kennst du jemanden an der Uni?«
»Nein, niemanden.«
»Knoche?«, fragte Hanna.
»Ach, du liebe Zeit, der hat jetzt
anderes im Sinn. Seine Bibliothek ist abgebrannt.«
»Sonst jemand? Bitte, Hendrik, überleg
noch mal …«
Ich setzte mich auf. »Jasmin!«
»Jasmin?«
»Ja, Bennos Nichte aus Umpferstedt,
seine Patentochter, sie arbeitet in der Jenaer Unibibliothek, die könnten wir fragen
…«
Während ich sprach, hatte ich bereits
mein altes, graues Handy herausgezogen und wählte. Benno meldete sich schlaftrunken
und meinte, ich solle mal auf die Uhr schauen. Ich tat, wie mir geheißen: kurz vor
sechs. Es war schon so viel passiert an diesem Morgen, dass ich mich bereits viel
weiter im Tag fortgeschritten wähnte. Ich entschuldigte mich mit dem galanten Hinweis,
dass ich auf solch profane Umstände heute leider keine Rücksicht nehmen könne, und
fragte ihn nach seiner Nichte aus Umpferstedt. Jasmin, wie heißt die noch weiter,
wollte ich wissen …, ja richtig, Jasmin Birken. Sie arbeitet doch in der Unibibliothek
Jena, oder? Genau, sie muss mir helfen, bitte ruf sie an, ich muss dorthin, unbedingt,
ganz schnell. Benno beschwor mich, bis 9 Uhr stillzuhalten, vorher sei die Bibliothek
in Jena sowieso nicht geöffnet, und sicherheitshalber, damit ich keinen Unsinn mache,
wolle er mich begleiten. Tschüss, bis später.
Warten. Nicht gerade meine Stärke.
Fast drei Stunden lang. Und immer noch kein Espresso. Die Kollegen von der Spurensicherung
kamen, Siggi gab ihnen Anweisungen. Wir mussten die Küche verlassen und kümmerten
uns beide um Hannas Mutter. Es schien ihr tatsächlich besser zu gehen. Als wir sie
versorgt hatten und sie wieder eingeschlafen war, saßen wir Hand in Hand an ihrem
Bett. Die Bilder von gestern Abend gingen mir wieder und wieder durch den Kopf.
Und ein bestimmtes Bild drang ganz intensiv in mein Gedächtnis: die Menschenmenge
vor der brennenden Bibliothek, mitten dazwischen Karola – ein Mann neben ihr, den
Arm um ihre Schulter gelegt. Karolas Gesicht tauchte völlig klar in meiner Erinnerung
auf, das Gesicht des Mannes aber war verschwommen. Nur eines blieb haften: Der Mann
trug ein grünes Hemd. Sollte ich das Hanna sagen?
»Hendrik, der Mann wollte dich umbringen,
stimmt’s?«
Ich nahm sie in den Arm. »Ja, sieht
so aus. Zum Glück habe ich ein paar gute Freunde.«
»Und einen Schutzengel, wenn du
nicht zufällig in der Küche geschlafen hättest …«
»Ja.« Mehr brachte ich nicht heraus.
»Du siehst ziemlich mitgenommen
aus«, meinte Hanna. Sie strich mir ein paar Falten auf der Stirn glatt.
»Und ich habe das Gefühl, dass sich
das heute nicht mehr ändern wird. Vielleicht ist heute der Tag der Entscheidung.«
Hanna sah mich unsicher an.
»Hast du etwas von Karola gehört?«,
fragte ich.
»Nein, noch nichts.«
Es klopfte. Siggi bat mich, in die
Küche zu kommen. Die
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