Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
ich
zugeben.«
»Na gut, das kann jedem passieren.«
Ich hob unschlüssig die Hände. »Wenn
man es extrem interpretiert, war das für ihn eine Art psychischer Terror, den er
mir mit dem Mordverdacht in gleicher Art abgelten wollte: mit Psychoterror!«
»Das klingt plausibel, Herr Wilmut«,
antwortete Kriminalrat Lehnert, »wenn wir diesen Gedanken weiter verfolgen, dann
müssten wir bei den anderen Opfern auch einen Grund suchen, der mit der Tötungsart
zusammenhängt.«
»Einen haben wir schon, Chef«, sagte
Siggi, »Meininger hat inzwischen herausgefunden, dass Hans Gegenroth zwar ein guter,
geduldiger und gerechter Lehrer war, dass es aber eine Ausnahme gab, und zwar während
seiner Zeit am Gutenberg-Gymnasium, ein Schüler, der ihn ständig gereizt und provoziert
hat. Infolgedessen wurde Gegenroth genau das, was er sonst nicht war: ungeduldig
und ungerecht. Er nörgelte an ihm herum, hielt ihm ständig andere Schüler als Vorbild
vor und redete sogar schlecht über ihn. Man könnte fast sagen, er …«
»… nahm ihm die Luft zum Atmen«,
ergänzte Meininger.
Alle starrten ihn an. Punktlandung.
»Und dieser Schüler hieß Rico Grüner«,
ergänzte Siggi, obwohl es dieser Ergänzung gar nicht mehr bedurft hätte. »Und das
war noch nicht alles. Heute Vormittag war Frau Valentine hier.«
»Cindy?«, fragte ich erstaunt.
»Ja, Cindy Valentine. Sie hatte
Rico Grüner nach deinem Auftritt Samstagnacht in der Brasserie das Versprechen abgenommen,
dich nicht anzuzeigen. Später wurde sie unsicher und hat sich nochmals mit ihm getroffen,
um dieses Versprechen erneuern zu lassen. Bei diesem Treffen in ihrer Wohnung hat
er versucht, sie zu erpressen. So ganz nebenbei, beim Hinausgehen, im Hausflur,
sie könnte doch sicher etwas für seine Schwester tun, eine Verlängerung des Stipendiums
an der Musikhochschule zum Beispiel. Cindy wollte sich tatsächlich darauf einlassen,
mit Rücksicht auf dich …«, er warf mir einen kurzen Blick zu, »als sie dann aber
hörte, dass einer seiner Kumpel dich trotzdem angezeigt hatte, kam sie zu mir.«
Meininger meldete sich. »Das Interessante
daran ist, dass Rico Grüner erneut versucht hat, Ausbildungsvorteile herauszuschlagen,
genauso wie bei Ihnen, Herr Wilmut, Zeichen einer soliden Existenzangst. Und: Er
hat sich sehr wohl um seine Schwester gekümmert, entgegen der Aussage der redseligen
Rentnerin. Sabine ist schließlich seine letzte Familienangehörige, und mehrere Jugendliche
aus der Kirchengemeinde haben ein gutes Verhältnis der beiden bestätigt.«
»Guter Gedankengang, Meininger«,
lobte der Kriminalrat, »und was schließen Sie daraus?«
»Ich schließe daraus, dass Rico
Grüner ein großes Interesse an der Versorgung seiner Schwester hatte und Fedor Balow
aufgefordert hat, sie zu heiraten, was entweder Balow oder Sabine Grüner nicht wollte,
wahrscheinlich sogar Sabine selbst. Daraufhin sah Rico das Leben seiner Schwester
quasi als verpfuscht an oder als …«
»Vergiftet!«, ergänzte ich.
Alle starrten mich an. Punktlandung.
»Fehlt nur noch Daniel Baumert.«
»Da tappen wir noch völlig im Dunkeln«,
erklärte Siggi, »aber auch hier muss es einen Zusammenhang geben.«
»Das muss irgendetwas mit Claudia
Holzgrewe zu tun haben«, sagte ich.
»Wieso?«
»Sie wurde genau an dem Tag beerdigt,
an dem ich auf dem Goetheturm eingesperrt wurde. Und zwar auf dem Waldfriedhof Oberrad,
der ist etwa zehn sportliche Laufminuten vom Goetheturm entfernt. Ich wette, Rico
Grüner war dort …«
Siggi gab Meininger einen Wink:
»Klären Sie das, bitte!«
Er nickte.
»Dasselbe gilt übrigens für eure
Jasmin«, sagte Siggi, »wie heißt sie mit Nachnamen?«
»Birken, Jasmin Birken«, antwortete
ich, »sie hat ihn verlassen, ihn sitzen lassen. Dafür wird er sich sicher auch etwas
Böses ausgedacht haben. Zum Glück ist sie in Sicherheit.«
Es entspann sich eine kurze Diskussion
zur Sicherheit von Jasmin Birken. Zumindest übers Wochenende war sie in der Kessler-Villa
gut aufgehoben und mit Benno als Bodyguard zusätzlich geschützt. Zumal niemand wusste,
dass sie dort war.
»Ich habe noch eine weitere Neuigkeit«,
sagte ich, »Jasmin hat nachgesehen, wer das Schwabe-Dokument zuletzt ausgeliehen
hatte. Da tauchte dieser Kumpel von Rico Grüner auf, er heißt Jürgen Zöld.«
»Jürgen Zöld?« Aus Meiningers Stimme
klang das pure Entsetzen.
»Ja, warum?«
»Der wohnt bei mir im Haus, Bonhoefferstraße
4.«
Ein paar Sekunden verstrichen, bevor
alle begriffen
Weitere Kostenlose Bücher