Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
hatten, was das bedeutete.
»Meine Herren«, Kriminalrat Lehnert
war ruckartig aufgestanden, »ich fordere das SEK aus Erfurt an, alle machen sich
einsatzbereit, auch Herr Wilmut, bitte. Sie sind der Einzige, der Rico Grüner bisher
gesehen hat. Kugelsichere Weste anlegen und immer bei Herrn Dorst bleiben. Weimar-Nord,
Bonhoefferstraße 4, Abmarsch in 15 Minuten. Fragen?«
Keine Fragen. Das Spiel begann.
Ein ernstes Spiel.
*
Der hagere Mann musste sich eingestehen, dass er Wilmut unterschätzt
hatte. Aber noch gab er sich nicht geschlagen. Schließlich betrieb er nicht umsonst
seinen Sport. Angst, Zweifel, Überraschung und Verwirrung. Das galt es zu überwinden.
Das hatte er gelernt.
Nachdem die Aktion in der Humboldtstraße
keinen Erfolg gebracht hatte, beschloss er, sich auf die Tiefurter Allee zu konzentrieren.
Er wusste, dass Wilmut über kurz oder lang dort auftauchen würde. Bei dem tollen
Onkel Leo und der allerliebsten Tante Gesa. Er besaß ein hervorragendes Gedächtnis
und eine gute Konzentrationsfähigkeit. Die meisten seiner Mitmenschen wussten das
nicht. Am wenigsten sein ehemaliger Lehrer Hans Gegenroth. Er hatte dafür büßen
müssen. Diese Fähigkeiten hatten ihm schon oft geholfen. So auch heute. Er hatte
viele Informationen über Wilmut gesammelt, die an einem sicheren Ort versteckt waren.
Zugleich trug er diese aber immer bei sich, in seinem ›Personal Memory‹. Auch die
Adresse von Wilmuts Onkel.
Er wartete bereits seit einigen
Stunden in dem alten Volvo schräg gegenüber der Kessler-Villa. Endlich kam Wilmut.
Zusammen mit seinem Cousin Benno. Da war jetzt nichts zu machen, die beiden zusammen,
das wäre zu gefährlich. Dann sah er Jasmin Birken. Na, wenn das kein Zufall war!
Dann musste sie eben zuerst dran glauben. Sie hatte ihn sitzen lassen. Nun würde sie sitzen. Und zwar sehr lange.
*
Die Bonhoefferstraße 4 ist ein achtstöckiges Hochhaus. Von den oberen
Stockwerken aus hat man einen guten Überblick über das Gelände. Lehnert saß mit
zwei Beamten im Einsatzwagen, der als Abholfahrzeug einer Wäschefirma getarnt war
und direkt vor dem Haus parkte. Das SEK war noch unterwegs, würde aber in zehn Minuten
eintreffen. Siggi kam mit seinem Privatwagen, um nicht aufzufallen. Meininger und
ich begleiteten ihn. Unterwegs telefonierte Meininger mit KK Milster vom K2. Zöld
war ein stadtbekannter Hehler und Kleinkrimineller, gegen den aber derzeit nichts
vorlag.
Wir betraten das Haus Bonhoefferstraße
4. Da Meininger selbst dort wohnte, war er unauffällig. Siggi und ich benahmen uns
wie alte Freunde. Wir mussten uns einen Überblick verschaffen. Meininger wohnte
ganz oben, im achten Stock, mit einer schönen Dachterrasse und einem tollen Blick
über den Westen von Weimar und den Ettersberg. Sogar das Mahnmal der Gedenkstätte
Buchenwald war gut zu erkennen. Meininger kannte lediglich einen der Hausbewohner,
einen Herrn Petermann, und den nur flüchtig. Etwa die Hälfte der Klingelschilder
und Briefkästen war unbeschriftet. Auch einen Jürgen Zöld gab es demnach nicht.
Siggi entschied, den Hausmeister
zu befragen. Er wohnte im Erdgeschoss. Der Hausmeister hatte eine kräftige Stimme,
und Meininger hatte Mühe, dem Mann zu erklären, dass wir von der Kriminalpolizei
wären, ohne dass diese Information gleich durchs gesamte Treppenhaus schallte. Endlich
bat er uns in die Wohnung. Seine Informationen waren Gold wert. Jürgen Zöld wohnte
im ersten Stock rechts, der Name Rico Grüner war ihm unbekannt. Siggi sprach übers
Funkgerät mit Lehnert und sie entschieden, zunächst in die Zöld-Wohnung zu gehen,
aber mit dem ›Kleinen Besteck‹. Was das bedeutete, würde ich schon sehen. Ein Kripo-Kollege
stieg aus dem Wäschereifahrzeug, er trug einen entsprechend beschrifteten Anzug
und einen Wäschebeutel. Er ging in den ersten Stock und klingelte an Zölds Wohnungstür.
Siggi und Meininger standen mit gezogener Waffe neben der Tür, sodass man sie durch
den Spion nicht sehen konnte. Ich musste einen Treppenabsatz höher warten.
Der Wäschemann klingelte. Keine
Reaktion. Erneutes Klingeln. »Ich kaufe nichts«, erklang es von drinnen.
Der Wäschemann klopfte an die Tür.
»Entschuldigung, würden Sie bitte die Wäsche für Herrn Petermann annehmen, er ist
nicht zu Hause!«
»Was geht mich denn dem seine Wäsche
an!«, tönte es von drinnen.
»Ach, wissen Sie, der Herr Petermann
hat uns angerufen, dass er länger arbeiten muss und dass Sie so ein netter Nachbar
sind,
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