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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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wollte Hanna wissen.
    »Tja … «, Benno zögerte. »Deswegen sind wir hier, er hat sie verschleppt, und wir haben das Signal verloren. Jens und Nicole sind verschwunden.«
    Ich hatte gleich das Gefühl, dass noch irgendein dickes Ende kommen würde, deshalb war ich nicht überrascht. Doch Hanna war geschockt. Nicole hatte sich quasi an ihrer statt in die Hände des Entführers begeben und nun saß sie hier, frisch gebügelt auf der Couch, während Nicole sich in höchster Gefahr befand. Unvermittelt begann sie zu weinen. Tröstend nahm ich sie in den Arm.
    »Habt ihr irgendetwas von Jens Gensing erfahren, irgendetwas Zusätzliches, das ich nicht weiß?«, fragte ich.
    »Er hat das Versteck ausgesucht, weil es Herders Haus war«, antwortete der Psychologe. »So erzählte es jedenfalls Cindy Valentine. Er hat mehrfach auf Herder geschimpft, ihn als Denunziant und Verräter bezeichnet.« Er schilderte einige Einzelheiten des Verstecks, die uns allerdings nicht weiterhalfen.
    »Er sieht Herder also tatsächlich als seinen Feind an«, stellte ich fest, »wahrscheinlich hat er deswegen die Beutestücke dorthin gebracht, aus Hass und aus Trotz. Und um zu zeigen: Ich wage mich in die Höhle des Löwen!«
    »Das verstehe ich nicht«, meinte Benno.
    »Das glaube ich Ihnen«, antwortete der Psychologe, »aber aus der Sicht von Jens Gensing ist es nur logisch, es entspricht seinen wirren Gedankengängen.«
    »Und noch etwas«, fuhr Siggi zögerlich fort, »Cindy berichtete mehrmals von einem Gedicht, das er ihr immer und immer wieder vorgetragen habe, das hat sie wohl ziemlich beeindruckt, ich dachte nur, weil Gedichte in diesem Fall immer etwas zu bedeuten haben …«
    Meine Anspannung stieg. »Welches Gedicht?«
    »Irgendetwas mit ›Mephistopheles‹, mehr weiß ich nicht mehr.«
    »Da gibt es viele Möglichkeiten …«
    Ehe ich weiter reden konnte, griff Siggi zum Telefon und rief John an. Die Unterhaltung war kurz.
    » Mephistopheles spricht! «
    Ich ging zum Bücherregal. Diesmal genügte ein Griff, dann schlug ich das richtige Buch auf.
    Hanna wischte sich die Tränen ab. »Nun hört doch mal mit euren Gedichten auf, lasst uns lieber Nicole suchen!«
    »Sie hat recht«, befand Benno.
    Ich schüttelte den Kopf. »Das ist möglicherweise ein Hinweis:

     
    Mephistopheles spricht
    Wer immerdar nach Schatten greift,
    Kann stets nur leere Luft erlangen:
    Wer Schatten stets auf Schatten häuft,
    Sieht endlich sich von düstrer Nacht umfangen!

     
    Einen Moment ließen wir die Worte auf uns wirken.
    »Was bedeutet das wohl?«, fragte Siggi.
    »Es macht auf mich den Eindruck einer Kapitulation«, sagte der Psychologe und nestelte an seinem Rollkragen. »Möglicherweise lassen sich diese Zeilen sogar als Kapitulation vor dem Leben interpretieren.«
    »Sie meinen, er wird sich umbringen?«, fragte ich.
    »Sieht ganz danach aus.«
    Ich überlegte. »Keine Spur von dem Fußschemel?«
    »Nein, keine Spur.«
    Ich war noch unsicher. »Zuerst wollte er persönliche Gegenstände von Goethe, dann wollte er seine Geliebte und nun möchte er vielleicht … sterben wie er?«
    Die anderen sahen mich entsetzt an.
    »Was denken Sie?«, wandte ich mich an den Psychologen.
    »Das ist möglich«, antwortete er, »solche Menschen treiben sich manchmal selbst in eine Sackgasse. Und diese Sackgasse kann den Tod bedeuten.«
    Es klang zwar etwas pathetisch, entsprach aber durchaus der Situation. Wieder einmal war ich mit dem Psychologen auf der gleichen Wellenlänge. Und ich hatte aufgehört, mich darüber zu wundern. Ich musste versuchen, weiter in die Gedankenwelt von Jens Werner Gensing einzudringen. Ich begann, in meiner Wohnung hin und her zu laufen. Langsam formte sich in meinem Kopf eine Idee.
    »Ich glaube, er hat den Fußschemel mitgenommen, um mit den Füßen auf diesem Schemel zu sterben. Genau wie Goethe!«
    Hanna sah mich mit großen Augen an. »Und Nicole?«
    »Er wird sie wohl mitnehmen.« Die Zweideutigkeit meiner Bemerkung fiel mir in diesem Moment nicht auf.
    »Und ich vermute, er wird das an einem möglichst authentischen Ort tun«, fuhr ich fort. Ich wurde jetzt immer sicherer. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder er geht ins Goethehaus, also in das Originalzimmer in dem auch Goethe starb, oder in die Goethe- und Schillergruft auf dem historischen Friedhof, wo Goethe begraben liegt.«
    »Klingt plausibel«, konstatierte Siggi, »du nimmst einen Ort, ich den anderen. Welchen möchtest du?«
    Seine praktische Denkweise

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