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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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Osteingang des Friedhofs in der Berkaer Straße dirigiert. Eine weitere Gruppe der Bereitschaftspolizei wurde angefordert. Langsam und vorsichtig wurde der gesamte Friedhof umstellt. Jens Werner Gensing hatte keine Chance zu entkommen.
    Wir warteten, bis Siggi eingetroffen war. Hermann war nirgends zu sehen.
    »Wo ist er?«, wollte Siggi sofort wissen.
    »Er kommt durch den Hintereingang!«
    Der Einsatzleiter fuchtelte wild mit den Armen: »Nicole berichtet, er habe eine Pistole!«
    Ich schüttelte den Kopf: »Nein, er hat zwei!«
    »Woher …?«
    »Sein Vater, er hat mich eben angerufen, die Pistolen sind aus dem Schrank verschwunden!«
    »Er hat das Auto verlassen, die Frau hat er mitgenommen.«
      Er schob seine Kopfhörer zurecht. »Er ist jetzt im Friedhof!«
    Ich sah den SEK-Einsatzleiter an.
    Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen noch ein paar Minuten warten, meine Leute müssen den Hintereingang erst abriegeln!«
    Ich nickte.
    »Erzählen Sie mir von den Pistolen!«
    Ich berichtete, was Felix mir gesagt hatte.
    »Diese alten Dinger sind unberechenbar, können zu früh losgehen oder gar nicht …«
    Der Hauptkommissar diskutierte mit dem Einsatzleiter verschiedene Szenarien. Sicherheitshalber erhielt Siggi vom SEK eine schusssicher Weste. Ich verlangte auch eine, Siggi hatte nichts einzuwenden. Hanna schien das gar nicht zu gefallen.Um abzulenken sagte ich schnell: »Die dunkelhaarige Frau könnte seine Mutter sein.«
    »Ist das möglich?«, fragte Siggi den Psychologen.
    »Ja, kann gut sein. Eigentlich ist sie seine Vertrauensperson, aber das kann sich rasch ändern … es kann sich sogar umkehren. Manche Patienten machen in Stressituationen ihre Mutter für alles verantwortlich, bis hin zu dem Vorwurf, sie überhaupt auf die Welt gebracht zu haben.«
    Hanna knetete nervös ihre Hände. Ich blickte in den Himmel und sehnte mich nach einer Thüringer Rostbratwurst und einem kühlen Ehringsdorfer. Die Wolken zogen schnell dahin, gaben den Mond frei, der die Szene in ein blasses, zartblaues Licht tauchte. Hanna lehnte sich an mich und ich legte den Arm um ihre Schultern.
    In diesem Moment fiel ein Schuss.
    Er traf uns beide tief im Inneren. Hanna krümmte sich, als sei sie selbst getroffen worden. Mein Brustkorb zog sich zusammen und ich hörte auf zu atmen. Einen kurzen Moment lang war es totenstill, als wäre ganz Weimar ein Friedhof. Einen Augenblick lang fühlte ich das, was in Büchern oft als das Stehen bleiben der Zeit beschrieben wird. Doch die Zeit blieb nicht stehen, sie bleibt nie stehen, sie läuft unabänderlich vorwärts. Und sie hatte Jens Werner Gensing besiegt – nicht wir oder ich – nein, die unaufhaltsame Zeit hatte ihn aufgehalten. Sie hatte sein Gehirn mehr und mehr aufgeweicht. All das ging mir in diesem kurzen Moment durch den Sinn.
    Dann schlug die Polizeimaschinerie zu: Scheinwerfer leuchteten auf, Megafone erklangen, Sirenen heulten, wir rannten los. Nach ein paar Schritten sah ich das historische Gebäude der Fürstengruft im Scheinwerferlicht. Ich bildete mir sogar ein, das goldene Dach der dahinterliegenden russisch-orthodoxen Kapelle blitzen zu sehen. Wir rannten weiter, nach ein paar Minuten hatten wir das Gebäude erreicht. Das SEK umstellte die Gruft, stürmte sie aber vereinbarungsgemäß zunächst nicht. Siggi wollte sich zuerst allein ein Bild von der Situation machen, um die Geisel nicht zu gefährden. Ich wollte mit ihm hineingehen, da ich das Gebäude im Gegensatz zu Siggi gut kannte. Das lehnte er jedoch vehement ab. So wartete ich mit den Kollegen des SEK dicht neben dem Eingang. Die große Flügeltür der Fürtstengruft war angelehnt. Siggi zog seine Pistole und stieß einen der beiden Flügel vorsichtig mit dem Fuß auf. Alles war still. Mit einer schnellen Körperbewegung sprang er durch die Tür. Kein Geräusch drang aus dem Gebäude.
    Ich zögerte nicht. Der Einsatzleiter hatte keine Chance, mich aufzuhalten. Mit drei flinken Schritte stand ich neben Siggi. Er tippte sich an die Stirn, um mir zu zeigen, dass er mich für verrückt hielt.
    Ich kam nah an sein Ohr und flüsterte: »Ich kenne mich hier drin gut aus, du nicht!«
    Wegen der Dunkelheit konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Nachdem wir uns an das spärliche Licht gewohnt hatten, entdeckten wir Anna. Sie lag kurz vor der ovalen Öffnung, durch die die Särge der Fürsten und Dichter vor vielen Jahren herabgelassen worden waren, auf dem Boden, neben ihr eine der beiden alten Pistolen. Sie

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