Goetheruh
überraschte mich erneut.
Es gibt Momente, da weiß man genau, was zu tun ist. Man weiß genau, welches die richtige Entscheidung ist, ohne sagen zu können warum, es ist mehr wie eine Eingebung. »Ich fahre zum Friedhof«, antwortete ich.
»Gut, Hanna, Benno und unser Psychologe fahren mit Hendrik, Hermann und Wenzel kommen mit mir zum Goethehaus, das SEK teilt sich jeweils zur Hälfte auf. Irgendwelche Fragen?«
Ich bat Benno, uns zu fahren, ich war einfach zu nervös. Wir brausten los. Als wir am Poseck’schen Garten einparkten, klingelte mein Handy.
»Ich bin’s, Felix!«
Ich war überrascht. »Hallo, Felix, was gibt’s denn?«
»Habt ihr Jens gefunden?«
Es war nicht die Zeit für lange Erklärungen. »Nein, wir suchen noch!«
»Hendrik, ich muss dir was sagen …« Seine Stimme klang gedehnt und unentschlossen.
»Entschuldige, Felix, aber ich hab jetzt wirklich keine Zeit, ruf mich doch später wieder an, ja?«
»Es ist aber wichtig!« Das klang geradliniger.
»Was denn?«
»Jens …«
»Bitte, Felix!«
»Er hatte von seinem Großvater zwei Pistolen bekommen, so richtig alte Duellpistolen, weißt du?«
Gänsehaut überzog meinen Rücken. »Und jetzt ist eine davon verschwunden?«
»Nein«, antwortete Felix, » beide sind verschwunden!«
»Oh Gott!«
»Ich verstehe das gar nicht, er hat sie nur ganz selten herausgeholt, höchstens wenn Oliver mal hier war …«
»Welcher Oliver?«
»Na, sein Freund, Oliver Held!«
Ich dachte, ich hätte mich verhört. »Oliver Held und Jens waren befreundet?«
»Ja, sicher, viele Jahre lang, bis Jens dann … du weißt schon – krank wurde!«
»Aber du hast uns bisher nur von diesem Thomas Reim erzählt!«
»Ach ja, hab ich wohl vergessen … Oliver wohnte auch in unserer Straße, ist mit seinen Eltern dann später weggezogen.«
»Aha!« Meine Gedanken rotierten. Was hatte das zu bedeuten? Und warum hatten Siggi und seine Leute das nicht herausgefunden? Egal – wir mussten uns zunächst um die Geschehnisse am Friedhof kümmern.
»Hendrik, ich hab Angst.«
»Ich weiß, Felix, wir tun, was wir können. Ich muss jetzt Schluss machen, melde mich später wieder.«
»Ist gut …«
»Moment noch … hat er die Pistolen geschenkt bekommen oder geerbt?«
»Geerbt hat er sie, und es lag ein Brief dabei. Willst du wissen, was drinstand?«
»Später. Ich muss jetzt aufhören!«
»Ja, aber …«
Ich legte auf.
Es war bereits spät an diesem denkwürdigen Samstag, die Dämmerung hatte eingesetzt. Die SEK-Leute standen mit ihrer kompletten Ausrüstung bereit, um eingreifen zu können. Wir warteten alle in dem kleinen Park gegenüber des Haupteingangs zum Friedhof.
Der Einsatzleiter trug einen Kopfhörer, über den er die aktuellen Informationen des Polizeifunks mithören konnte. »Nicole hat sich bei Hauptkommissar Dorst gemeldet«, rief er, »sie konnte sich befreien!«
Es war, als hätte eine imaginäre Hand ihren Griff um meinen Brustkorb gelockert. »Gott sei Dank!«, flüsterte Hanna. »Er hatte sie in der alten Datsche seiner Eltern am Hohenfelder Stausee eingeschlossen«, berichtete der SEK-Chef weiter.
»In einer alten … was?«, fragte ich leicht genervt.
»In einem alten Ferienhaus. Sie schaffte es, ihre Fesseln zu lösen.«
Er horchte wieder nach den Informationen, die über den Polizeifunk kamen. »Ich höre gerade, dass er eine dunkelhaarige Frau in seiner Gewalt hat, Passanten haben das gemeldet, sie sind in einem alten roten Golf unterwegs, Kennzeichen WE - FG 223, wir verfolgen ihn!«
»Was heißt denn in der Gewalt ?«, fragte Benno.
»Er fährt die Humboldtstraße hinauf,« entgegnete der SEK-Beamte statt einer Erklärung, »keine Ahnung, was das soll!«
»Das kann ich Ihnen sagen«, entgegnete ich, »es gibt einen Hintereingang zum Friedhof, vom Silberblick aus, da wird er wohl reingehen!«
»Stimmt, da gibt es ein kleines Tor …«, bestätigte Hanna.
Wir hatten uns als Jugendliche manchmal dort getroffen. Weil es ein gottverlassenes Eck war, ohne Straßenlaterne, nur ab und zu vom Mondlicht erhellt und weil es romantisch war – sehr romantisch. Irgendwo an diesem Ort hatte ich eine DDR-Münze vergraben, ich glaube, ein goldfarbenes 20-Pfennig-Stück. Wenn Hanna es nach unserer Schulzeit wiederfinden sollte, wollte ich sie heiraten – so war die Abmachung. Es war aber nicht gegen die Abmachung, auch ohne den Fund zu heiraten.
Das SEK traf seine Vorbereitungen. Die Männer vom Goethehaus wurden abgezogen und zum
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