Goetheruh
zueinander darstellte. Herrn Wilmuts Name stand darauf.« Hermann hatte offensichtlich gute Arbeit geleistet. »Eigentlich sollte diese Skizze sofort vernichtet werden, doch der gute Freund nahm sie mit nach Hause, um sie nochmals zu studieren. Zufällig entdeckte sie dort der Vater des Täters, der mit Herrn Wilmut bekannt ist. Vom Vater muss die Information irgendwie zum Sohn gelangt sein – zu Jens Werner Gensing. Der wiederum kannte Herrn Wilmut natürlich von seinen Büchern und fühlte sich wohl geschmeichelt, von solch einem Experten gejagt zu werden.«
»Und wer ist nun dieser gute Freund?«
Ich starrte Hermann an.
»Ach, wissen Sie, Herr Scherer, das ist gar nicht wichtig, ich denke eher, dass es uns genutzt hat, dass Gensing seinen Gegner kannte.«
Sandro Scherer schien nicht überzeugt von dieser Theorie.
»Es wäre für unsere Leser aber …«
»Nein!«, sagte Hermann bestimmt.
»Immerhin muss ja jemand dafür verantwortlich sein, dass die Skizze in falsche Hände kam, nicht wahr?« Scherer ließ nicht locker.
»Wie schon erwähnt, betrachten wir es im Rückblick sogar als Vorteil, dass Jens Gensing von meiner Mitarbeit wusste«, versuchte ich abzulenken, »ihm war wohl nicht klar, ob er mich als Feind oder Freund betrachten sollte!«
»Tatsächlich?« Scherer war offensichtlich beeindruckt.
»Man könnte es auch so formulieren: Er hat sich selbst als meinen Feind betrachtet, obwohl er lieber mein Freund gewesen wäre!«
»Haben Sie Jens Werner Gensing denn als Gegner oder sogar als Feind betrachtet?«
»Ja, natürlich. Wenn man auf der Seite des Gesetzes steht, ist der Täter immer ein Feind – ganz einfach!«
»Gilt das auch, wenn er geisteskrank ist?«
Er schien sich tatsächlich ein paar vernünftige Gedanken gemacht zu haben.
»Grundsätzlich nein, außer er schadet anderen Personen. Man kann nicht alles mit Krankheit entschuldigen …« Dank an meine Souffleuse Hanna. »Im Übrigen, schreiben Sie bitte nicht geisteskrank, heute spricht man in diesem Kontext von psychischen Erkrankungen.«
Er wirkte nicht begeistert angesichts meiner Belehrung, schien es aber zu akzeptieren.
»Nun hat er sich ja selbst gerichtet …«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat seinem Leben indirekt ein Ende gesetzt, richten kann nur einer – unser aller Richter dort oben.«
Er überlegte. »Eine Frage an Sie, Herr Kommissar. Ist nun endgültig geklärt, wie Jens Gensing ins Goethehaus eindringen konnte?«
»Ja, das steht fest. Er hat sich über seinen Freund Thomas Reim einen Nachschlüssel zum Nebenhaus am Frauenplan besorgt und ist dann tatsächlich mit einem Originalschlüssel aus der Goethezeit in den Keller eingedrungen. Es klingt fast unglaublich, aber er hat das alte Schloss dank seines handwerklichen Geschicks wieder funktionstüchtig gemacht.«
»Unglaublich!«
»Ja, unglaublich«, bestätigte ich, »wenn man so etwas niederschreibt, halten es die meisten Leser wohl für Fiktion.«
»Genau das ist mein Problem«, bestätigte Scherer.
»Und ihr Job«, entgegnete ich.
Er grinste. »Stimmt. Woher hatte er diesen Schlüssel?«
Hermann räusperte sich. »Den hat sein Großvater vor einigen Jahren bei Bauarbeiten in der Nähe der Ilmparkhöhlen gefunden. Damals wurden viele alte Sachen zu Tage gefördert, Tonscherben, Werkzeug und so weiter, die Zeitungen waren voll davon.«
»Ich erinnere mich daran«, sagte der Journalist.
»Jedenfalls war der Großvater überzeugt, dies sei ein Originalschlüssel aus dem Goethehaus, hatte selbst aber nicht mehr die Kraft, ihn zu nutzen und hat ihn deshalb seinem Enkel vermacht.«
»Vermacht? Was meinen Sie damit?«
»Werner Mühlberger hat seinem Enkel diesen Schlüssel als Vermächtnis, sozusagen als Schlüssel zum Leben hinterlassen, ich glaube aber nicht, dass er sich seine Nutzung so vorgestellt hatte, wie sein Enkel sie umgesetzt hat.«
»Und unter dem Reinkarnationseinfluss seiner Mutter und seinem fortschreitenden geistigen Verfall kam er dann auf die Idee, ins Goethehaus einzubrechen?«
»Richtig!«
»Wie ist Jens Gensing eigentlich an diesem Samstag, bei der Nachtaktion im Goethehaus entkommen?«
»Nun, wir haben inzwischen ermittelt, dass er sich unter die Gäste des Dorint-Hotels am Beethovenplatz gemischt hat. Er muss das geplant haben, denn er trug einen schwarzen Anzug mit Krawatte. Erst nach zahlreichen Zeugenbefragungen fanden wir eine Frau, die ihn zufällig kannte und die an diesem Abend auf einer Feier im Hotel war. Sie sah
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