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Goetheruh

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Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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Sie schien nur langsam zu begreifen, was passiert war. Fassungslos blickte sie hinunter auf den Sarg, den sich ihr Sohn unrechtmäßig als seinen eigenen ausgesucht hatte. Aber was bedeutet im Angesicht des Todes schon unrechtmäßig?
    »Warum, Hendrik, warum nur?«
    »Ich weiß es nicht, Anna!«
    Dann nahm ich sie in den Arm und sie begann bitterlich zu weinen. Und ich weinte mit ihr.

13. Epilog
     
    Lange hatte ich mir ein gewisses Mitgefühl für Jens Werner Gensing aufgespart, weil ich wusste, dass er krank war. Doch spätestens seit Cindys Entführung war dieser Rest an Mitgefühl in mir gestorben. Der kranke Psychopat hatte sich für mich in einen psychotischen Verbrecher verwandelt. Ich hatte mich oft gefragt, ob das unfair war oder unmenschlich. Doch Hanna meinte, man müsse seinen Gefühlen manchmal freien Lauf lassen, aus dem Innersten heraus. Und man könne auch nicht alles entschuldigen, nur weil jemand krank war. Ja, das waren ihre Worte. Und im Hinblick auf ihren Vater wusste sie, wovon sie sprach. Womit sich erneut zeigt, dass gesunder Menschenverstand oft wichtiger ist als all das mühsam erlernte Wissen. Und mir zeigte es aufs Neue, dass mein Herz für Hanna schlug.
    Eigentlich hätten wir beide gerne einen ruhigen Sonntag verbracht. Doch die Presse verlangte ihr Recht – Aufklärung, Informationen und ehrliche Antworten auf direkte Fragen. Zum Glück gab es keine große Pressekonferenz, sondern nur ein kleines Pressegespräch mit Sandro Scherer von den ›Thüringer Nachrichten‹ – so wollte es unser ausgehandelter Kompromiss. Er besaß alle Rechte der Weitervermarktung dieser Informationen, und die wollte er natürlich umgehend nutzen.
    Da ich vorläufig weder Bennos Konferenzraum noch das Polizeipräsidium wiedersehen wollte, hatten Siggi und ich uns mit Sandro Scherer in den Redaktionsräumen der ›Thüringer Nachrichten‹ verabredet. Benno wollte sich unbedingt einen Tag Auszeit nehmen und hatte mit dem OB und Göschke für Montag früh eine Pressekonferenz angesetzt – sozusagen als politische Stellungnahme.
    Als ich den Besprechungsraum in der Redaktion am Goetheplatz betrat, erhob sich Kommissar Hermann und begrüßte mich.
    »Wo ist denn Siggi?«, fragte ich erstaunt.
    Hermann stockte. »Er … also, es geht ihm nicht gut«, antwortete er.
    Ich verstand immer noch nicht.
    »Immerhin musste er gestern …«, Hermann zögerte erneut, »schließlich musste er einen Menschen erschießen.«
    Hitze kroch meinen Hals empor. Unwillkürlich griff ich nach meinem Hemdkragen. Siggi – hoffentlich war er nicht wieder dort angekommen, wo seine Reise nach dem Fund der Kinderleiche begonnen hatte. Und ich? Ich hatte überhaupt nicht an ihn gedacht, hatte sogar vergessen, ein Gedicht für Ella herauszusuchen. Scherer wurde unruhig. Widerwillig signalisierte ich ihm mit einer Handbewegung, dass er beginnen solle. Tief in mir wehte ein kalter Wind und ich hatte ihm nichts entgegenzusetzen.
    »Die meisten Fakten hat mir Hauptkommissar Dorst gestern Abend bereits erzählt«, begann Sandro Scherer, »deswegen interessieren mich heute hauptsächlich die Hintergründe und Ihre Meinung!«
    »Das klingt ja nach ernsthaftem Journalismus«, entgegnete ich sarkastisch.
    »Ja, das tut es«, antwortete er ruhig, »unser kleiner Handel macht es möglich. Dadurch habe ich den Rücken frei und kann mich voll auf meine journalistischen Aufgaben konzentrieren. Das kommt leider nicht zu oft vor!«
    »Aha!«
    »Jede Branche hat ihre Gesetze und Zwänge.«
    Ich sah ihn irritiert an.
    »Na, dann schießen Sie mal los«, forderte Hermann ihn auf.
    Scherer wandte sich zuerst an mich. »Herr Wilmut, wie hat Jens Gensing überhaupt von Ihrer Mitarbeit in der Expertenkommission erfahren?«
    »Tja«, antwortete ich, »das weiß ich bis heute nicht!«
    »Aber ich«, antwortete Hermann. Mir blieb der Mund offen stehen.
    »Ja, es gab da ein paar offene Punkte, die haben Hauptkommissar Dorst und ich geklärt, als Sie einen turbulenten Samstag verlebt haben …«
    »Und?«
    »Den entscheidenden Hinweis bekamen wir von Leo Kessler …«
    »Dem ehemaligen Oberbürgermeister?«, fragte Sandro Scherer dazwischen.
    »Ja, genau. Er saß an einem lauschigen Freitagnachmittag mit seinem Sohn, Herrn Wilmut und einem guten Freund in seinem Garten beim Grillen. Dabei wurde auch der Fall JWG – wie er intern genannt wurde – erörtert. Es wurde auch eine Skizze angefertigt, die sozusagen als Schaubild die Beziehung der einzelnen Personen

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