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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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dieser beiden Menschen. Die beiden ergänzten sich auf eigenartige Weise. Sie war eine kühle Frau, ohne Charme, aber mit einer ihr eigenen Nahbarkeit und Offenheit, mit gesundem Menschenverstand und gleichzeitig einer tiefen Ernsthaftigkeit. Er wollte sie wieder erblühen lassen als Frau, als Weib – obwohl er dieses Wort nie benutzte, nein, sie war immer die hohe Frau , die Herrin . Sie wiederum wollte ihn formen, im Benehmen, im Standes- und Staatsdenken. Wollte ihn kulturstrategisch leiten. Und sie kannte sein Seelenleben wie kein zweiter Mensch. In ihrem Testament verfügte sie, dass ihr Sarg nicht durch die Seifengasse an Goethes Haus vorbei getragen werden sollte, obwohl dies der normale Weg gewesen wäre. Das hätte seinen Seelenfrieden gestört.
    Mein eigener Seelenfrieden war in einem mentalen Chaos untergegangen. Langes Warten war sowieso nicht meine Stärke, doch dabei auch noch so aufmerksam zu sein, um nichts zu verpassen, war eine besondere Herausforderung. Siggi war das gewohnt. Eine akkurate Regelmäßigkeit sei sehr wichtig, hatte er mir zuvor eingeschärft, sonst schläft man ein oder driftet in eine andere Gedankenwelt ab, die die Konzentration stört. Alle 15 Minuten musste sich jeder per Funk bei der Einsatzzentrale melden. Alle zwei Minuten piepste ganz leise Siggis Armbanduhr, woraufhin er einen routinemäßigen Scannerblick mit dem Nachtsichtgerät von links nach rechts über das gesamte Gebäude gleiten ließ. Da er vorwiegend die visuelle Komponente abdeckte, hatte ich die Hauptaufgabe, mein Gehör einzusetzen.
    Gegen Mitternacht wurde es angenehm kühl und die Geräusche von den Restaurantgästen, den Touristen und den Pferdekutschen verstummten allmählich. Somit konnte ich meine Hör-Aufgabe besser wahrnehmen. Es wurde nebliger und dünne Schwaden zogen vom Ilmpark kommend durch den historischen Garten. Je mehr Lichter ausgingen, desto mehr Details konnten wir erkennen. Gelegentlich unterstützte uns das Mondlicht, das zwischen den Wolken hindurch schien. Ein leichtes Flirren lag in der Luft, fast wie Elfengesang.
    Siggi meldete sich übers Funkgerät. »Zentrale, hier Posten 2, keine Vorkommnisse!«
    »Verstanden Posten 2, Ende!«
    Die Worte waren gedämpft, doch in der Stille der Nacht kamen sie mir vor wie ein Schrei.
    Ich horchte. »Siggi, da war was!«
    »Wo?«
    »Da vorne links, klang wie eine Tür!«
    Er lenkte sein Nachtsichtgerät auf die beiden Bauten zwischen dem Goethe-Wohnhaus und dem Coudray’schen Torhaus. »Nichts!«
    »Wie eine zugeschlagene Tür klang das«, flüsterte ich aufgeregt.
    »Bleib hier!«
    Unsere Unterhaltung musste sich auf ein Minimum beschränken. Er lief vorsichtig nach links Richtung Torhaus und spähte am Ende der Hecke in Richtung des vermeintlichen Geräuschs. Nach fünf Minuten kam er zurück. »Nichts«, wiederholte er.
    Er machte trotzdem eine Meldung per Funk. Alle Vorgänge wurden in der Zentrale genau registriert. Siggi und ich beschlossen, uns etwa drei Meter voneinander zu entfernen, damit ich nicht mehr durch die Geräusche des Funkgeräts irritiert wurde. Im Mondschein konnten wir uns dennoch gut erkennen.
    Während der nächsten zehn Minuten passierte nichts. Ich spähte auf die Uhr: 1.09 Uhr.
    Siggi schien mit jemandem zu sprechen, obwohl der nächste regelmäßige Funkspruch erst um 1.15 Uhr fällig war. Neugierig geworden, schlich ich zu ihm hinüber.
    »Hermann hat sich gemeldet«, flüsterte er, »die Lampe über dem Eingang des Goethehauses ist plötzlich ausgegangen!«
    »Und?«
    »Weiß nicht, vielleicht ist die Birne kaputt.«
    »Wahrscheinlich.«
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Psst!«, machte ich.
    »Was ist?«
    »Da spielt jemand Klavier.«
    Siggi horchte angestrengt. Alles war ruhig. »Mitten in der Nacht?«, flüsterte er.
    »Kann doch sein …«
    »Aber bestimmt nicht unser Mann, der würde sich ja selbst verraten!«
    »Stimmt!«, pflichtete ich ihm bei, ohne restlos davon überzeugt zu sein. Unser Mann hatte seine eigenen Maßstäbe. »Es klang jedenfalls wie ein Klavier, und zwar wie ein verstimmtes. Ich kenne das von zu Hause.«
    »Kam es aus der Richtung des Goethehauses?«
    »Eindeutig!«
    Wir horchten erneut. Nichts.
    Siggi machte eine Meldung. Wahrscheinlich irgendein Betrunkener, der bei geöffnetem Fenster ein spätes Ständchen bringen wollte.
    Ruhe. Der Elfengesang umfing uns erneut.
    »Da ist was!«, rief Siggi und drehte aufgeregt an seinem Nachtsichtgerät.
    Meine Nerven waren bis zum Äußersten gespannt.

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