Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
Vom Netzwerk:
Deutliches Türenschlagen ertönte von links.
    Siggi nahm das Funkgerät: »Hier Posten 2, verdächtige Person auf 9 Uhr, flüchtet in Richtung Wielandplatz!« Seine Stimme zitterte.
    Die Reaktion von Göschke erfolgte ohne Zögern: »Zentrale an alle. Sofortiger Zugriff!«
    Die Nacht war zu Ende. Blaulicht und Sirenen zerrissen die dunkle Stille. Der Polizeiapparat funktionierte wie am Schnürchen. Die schmale Gestalt, die sich vom Wielandplatz Richtung Steubenstraße bewegte, hatte keine Chance. Der Mann lief geradewegs in den Streifenwagen Weimar 3 hinein. Die Beamten reagierten sofort und absolut professionell.
    »Hier Weimar 3, wir haben ihn!«
    »Verstanden, Weimar 3, sonstige Vorkommnisse?«
    »Hier Weimar 1, keine Vorkommnisse!«
    Der gleiche Funkspruch folgte von den anderen beiden Streifenwagen.
    »Danke, meine Herren, Abbruch!«
    Kurz vor 2 Uhr trat ich ins Kaminzimmer. Der Verdächtige wurde bereits zur Vernehmung ins Polizeipräsidium gebracht. Ich würde ihn schon noch zu sehen bekommen. Die Lage war ruhig, aber gespannt. Göschke und Siggi meinten, es würde vielleicht sehr lange dauern, bis erste Erkenntnisse vorlagen. Zuerst sollten die Fußspuren sorgfältig mit der Infrarotkamera fotografiert werden, dann erst konnte die Auswertung der Videoaufnahmen und die Inspektion des Gebäudes erfolgen. Das würde bis morgen früh dauern. Ich war hundemüde und bat Siggi, mich nach Hause bringen zu lassen.
    Weimar 1 setzte mich in der Hegelstraße ab.
    Als ich direkt vor meinem Haus ausstieg, meinte der Beamte, es sei ja eine Schande, dass diese unflätigen Sprayer so schöne alte Häuser verunzierten. Erst als er bereits außer Sichtweite war, fiel mir auf, was er gemeint hatte. Über der gesamten Fassade am Erdgeschoss unseres Hauses stand in riesigen roten Lettern: ›Danke für den Besuch!‹
    Ich erstarrte vor Schreck. Die rote Farbe lief noch an der Hauswand herunter. Das war für mich bestimmt – das wurde mir sofort klar! Er wusste, wo ich wohnte, er kannte mein Haus, meine Wohnung, sein Ring zog sich enger um mich.
    In Panik öffnete ich die Haustür, ließ zweimal den Schlüssel fallen und knallte die Haustür so laut zu, dass die alte Frau Semarak aufwachen musste. Dann rannte ich die Treppe hoch, riegelte meine Wohnungstür ab und setzte mich im Dunkeln in meinen Sessel. Die leere Espressotasse stand noch daneben. Ich zwang mich zur Ruhe, zum langsamen Atmen. Es gelang nicht. Ich verfolgte den Sekundenzeiger meiner Uhr. Gleichzeitig fühlte ich meinen Puls. Ein Herzschlag pro Sekunde – nicht mehr! Darauf konzentrieren, nichts anderes denken für einige Zeit! Langsam kam mein Puls wieder herunter, pendelte sich irgendwo zwischen 60 und 70 Schlägen pro Minute ein. Ich atmete tief durch. Was sollte ich tun?
    ›Danke für den Besuch!‹
    Was hatte das zu bedeuten? Ich musste überlegen, ich musste in Ruhe überlegen. Danke für welchen Besuch? Für den Besuch im Goethehaus heute Nacht? Dann hätten wir den Falschen verhaftet. Konnte das möglich sein? Und er machte sich wieder über uns lustig. Dieser hinterhältige, ironische … Halt! Nicht ärgern, langsam und systematisch denken. Er wollte uns lächerlich machen, doch er wollte uns damit auch etwas sagen.
    ›Danke für den Besuch!‹
    ›Der Besuch‹ … das war ein Gedicht, ja sicher … ein sehr bekanntes Gedicht … es handelt von Christiane! Ich hatte es geahnt, es wurde immer persönlicher. Ich war zu aufgeregt, um klar denken zu können. Wie ein Idiot wühlte ich in meinen Gedichtbüchern, ›Der Besuch‹ … ja, da war es!
    Auf dem Saale fand ich nicht das Mädchen,
    Fand das Mädchen nicht in ihrer Stube; …
    Nein, wir fanden es nicht, das Mädchen – das Mädchen auf dem Bild – oh mein Gott – zu dem Gedicht gab es ein Bild, eine Zeichnung von Goethe. ›Christiane Vulpius auf einem Sofa schlafend‹.
    Zum Glück lag Siggis Handynummer auf einer der Kurzwahltasten meines Handys. Er meldete sich sofort. Ich war jetzt ganz ruhig und konzentriert.
    »Hier Hendrik«, sagte ich mit fester Stimme, »wo bist du jetzt?«
    »Noch im Goethehaus.«
    »Wo genau?«
    »Im äh … in diesem gelben Raum in der Mitte, warum?«
    »Pass auf, tu jetzt bitte genau, was ich dir sage!«
    »Was?«
    »Bitte frag nicht, tu’s einfach!«
    »Ist ja gut.«
    »Geh in Richtung Garten durch das Brückenzimmer, da stehen lauter Büsten.«
    »Alles klar, bin auf dem Weg.«
    »Dann weiter, bis zu der Gartentür.«
    »Ja, bin dort.«
    »Jetzt nach links zu den

Weitere Kostenlose Bücher