Goetheruh
Erscheinungen – überall tauchten diese beiden Namen auf. Und er war stolz darauf!
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Zu Hause angekommen, schaltete ich zuerst die Espressomaschine ein. Dann setzte ich mich gemütlich in den Sessel unter dem Dachfenster und ließ meine Gedanken schweifen. Ich wusste, dass ich verliebt war und genoss es. Lange saß ich so und freute herzlich Ihres Wertes mich und meiner Liebe . Dazu genoss ich meinen Espresso. Vielleicht auch zwei oder drei.
Da ich früh aufgestanden war und die Nacht lang werden würde, gönnte ich mir einen ausgiebigen Mittagsschlaf. Gegen halb sieben machte ich mich auf den Weg ins Polizeipräsidium. Ein leichter, lauer Wind wehte durch die Weimarer Straßen.
Wir waren so unauffällig wie möglich auf Position gegangen. Die Dämmerung legte sich allmählich über die Stadt. Der Mond schien durch die dünnen, vorüberziehenden Wolken. Dahinter zeigte sich ein dunkelblauer Himmel von unendlicher Schönheit. Langsam kamen die Sterne hervor, sie vermehrten sich zusehends, von Minute zu Minute. Siggi und ich saßen im Garten des Goethehauses zwischen den beiden großen Hecken, die parallel zur hinteren Gartenmauer an der Ackerwand verliefen. Es war ein ideales Versteck, da man durch die Hecke hindurch die gesamte Rückfront im Auge behalten konnte, gleichzeitig jedoch gut getarnt war. Kommissar Hermann und der Psychologe, der als vierter Mann eingesprungen war, hatten in einem schräg gegenüberliegenden Haus am Frauenplan Posten bezogen. Im Erdgeschoss befand sich ein Restaurant, das mit seinen Tischen, Stühlen und Sonnenschirmen fast den gesamten Platz vor dem Goethehaus einnahm. Unser Aussichtsposten befand sich in der Wohnung des Restaurantbesitzers im dritten Stock, mit guter Sicht auf die Front und das Dach des Goethehauses. Siggi kannte den Mann recht gut und hatte ihm erklärt, es handle sich um die Observierung seiner Konkurrenz im ›Weißen Schwan‹. Daraufhin war er sehr kooperativ gewesen und versorgte Hermann und den Psychologen sogar mit Kaffee und belegten Brötchen. So gut hatten wir es hinter der Hecke nicht, dafür konnten wir die frische Luft und den Sternenhimmel genießen. Hermann und Siggi hatten ihre Nachtsichtgeräte vorbereitet, an der Wendeltreppe waren zwei Videokameras installiert worden, die eine lückenlose Aufzeichnung während der gesamten Nacht gewährleisteten, und am Fuß der Wendeltreppe im Erdgeschoss befand sich eine neue Alarmanlage mit drei Bewegungsmeldern. Mehrere Streifenwagen standen gut versteckt bereit, einer in einem Hinterhof der Steubenstraße, ein anderer in der Tiefgarage am Beethovenplatz, zwei weitere in der Puschkinstraße und am Haus der Frau von Stein. So konnte in Kürze das ganze Viertel abgeriegelt werden. Die Einsatzzentrale mit dem Kriminalrat und Martin Wenzel befand sich im Kaminzimmer des ›Weißen Schwan‹. Die seit Mittwoch eingerichteten Doppel-Wachposten umkreisten das Gebäude regelmäßig, aber unauffällig von der Seifengasse über den Frauenplan, hinauf zum Wielandplatz, links hinein in die Ackerwand bis zum Ende der Gartenmauer, hinter der Siggi und ich saßen, am Gebäude des Goethemuseums vorbei, um links durch eine kleine Querverbindung wieder hinunter auf die Seifengasse zu stoßen, und das Ganze von vorne zu beginnen.
Die Seifengasse ist eine der romantischsten Gassen Weimars, schmal, mit altem Kopfsteinpflaster belegt, gesäumt von historischen Häusern, die größtenteils bereits dort standen, als Goethe seine berühmten Zettelgen ans andere Ende der Gasse zu Charlotte von Stein schickte. Charlotte von Stein – seine ständige Kritikerin, seine Geliebte im Geiste, seine Kontrollinstanz und seine Verbündete. Oft hatte ich mich gefragt, wie diese eigenartige Verbindung zwischen einem Staatsminister und einer verheirateten Frau aus dem unmittelbaren Kreis der Herzogin in der damaligen Zeit des religiösen und gesellschaftlichen Scheuklappendenkens toleriert werden konnte. Vielleicht war es die herausragende Stellung dieser beiden Personen, die ihnen einen größeren Spielraum verschaffte, vielleicht auch das künstlerische Flair im damaligen Weimar, das ihnen eine gewisse Freiheit schuf.
Goethe jedenfalls scherte sich überhaupt nicht um die öffentliche Meinung. Er schrieb ihr etwa 1700 Briefe und Briefchen in gut zehn Jahren, also im Schnitt jeden zweiten Tag einen Brief. Und das über einen solch langen Zeitraum, zusätzlich zu den persönlichen Gesprächen. Das zeigt die intensive Beziehung
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