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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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nichts!«, rief sie entrüstet und schien entsetzt über die frühe Belästigung.
    »Hallo, Frau Büchler, ich bin’s, der Hendrik von nebenan!«
    Sie hatte die Tür fast wieder geschlossen. »Der Hendrik von nebenan?« Sie nahm die Brille ab und versuchte mich zu fixieren.
    Ich öffnete das Gartentor und trat näher.
    »Hendrik Wilmut?«, fragte sie.
    »Ja, genau!«
    Sie war gerührt. Als ich die Treppe hinaufkam, umarmte sie mich.
    »›Der Hendrik von nebenan.‹ So hast du dich immer gemeldet, wenn du Hanna besucht hast, in den Sommerferien.«
    »Das ist schon lange her!«
    »Ja, allerdings …«, sie zögerte, « … seitdem hat sich viel verändert. Die Wende, deine Großeltern … mein Mann!«
    »Ich weiß, es tut mir sehr leid.«
    »Komm doch rein, Hendrik!«
    »Danke!«
    Das Haus war unverändert: geradlinig, ohne Schnörkel, schätzungsweise aus den 20er-Jahren, mit einem riesigen Kachelofen im Flur, der über entsprechende Züge das ganze Haus erwärmte. Im Garten drei Tannen – hoch und dunkel, wie seit Jahren. Ich ging in die Wohnküche und legte die Tüten auf den Tisch, frische Brötchen, ein Glas Erdbeer-Rhabarber-Marmelade und ein halbes Pfund gekochten Schinken. Ich fühlte mich wie zu Hause.
    »Ich dachte mal, du wirst mein Schwiegersohn!«
    Ich war vollkommen überrascht. Hannas Mutter hatte schon immer eine sehr direkte Art gehabt. Sie lächelte.
    »Ja«, sagte ich leise. »Nach dem Abitur kam eine Art … Bruch, Bundeswehrzeit, da durfte ich nicht in die DDR, Studium und so weiter …« Beinahe hätte ich gesagt: Was nicht ist, kann ja noch werden.
    Auf der Treppe waren Schritte zu hören.
    »Wir haben Besuch!«, rief Frau Büchler.
    »Was, so früh?«, tönte es leicht missmutig.
    Dann kam Hanna um die Ecke und erblickte mich. Unwillkürlich begann sie zu lächeln. Ich stand auf. Keiner von uns beiden sagte etwas.
    »Er hat deine Lieblingsmarmelade mitgebracht, Erdbeere mit Rhabarber«, sagte ihre Mutter.
    »Dass du dich daran noch erinnerst?«
    Frau Büchler setzte Kaffee auf.
    Ich räusperte mich. »Es tut mir leid, Hanna, dass ich gestern Abend keine Zeit hatte, dir die Situation zu erklären …«
    »Ich erhebe keinen Anspruch auf eine Erklärung.«
    Diese Frau hatte einfach Klasse. »Also gut, ich habe Brötchen mitgebracht … ich dachte … äh …«
    »Ich nehme an, du wolltest mit uns frühstücken, oder?«
    »Ja, genau.«
    »Na, dann setz dich doch bitte!«
    Ich kam mir vor wie in den Sommerferien, damals, als die Sommer noch heißer und die Schmetterlinge noch zahlreicher waren. Hanna trug ein rotes Sommerkleid, mit kurzen Ärmeln und einer eng geschnittenen Taille. Sie strahlte einen unbeschreiblichen Charme aus.
    Ich ließ mich auf dem kurzen Teil der Eckbank nieder.
    »Da hast du früher auch immer am liebsten gesessen«, stellte Frau Büchler liebevoll fest.
    »Mama!« Hanna warf ihrer Mutter einen tadelnden Blick zu. »Nun lass uns doch mal von der Gegenwart reden und nicht immer nur von der Vergangenheit!«
    »Natürlich, mein Kind.«
    Sie schenkte Kaffee ein und fragte, ob ich verheiratet sei. Ich verneinte und erzählte ein wenig von meinem Beruf und von meiner Mutter in Offenbach. Hanna schmierte sich ein Marmeladenbrötchen. Ich nahm gekochten Schinken.
    »Fühlst du dich immer noch wohl hier?«, erkundigte sich Frau Büchler weiter.
    »Was meinen Sie mit hier ?«, entgegnete ich.
    »Na hier … in der Gegend.«
    »Also im Osten?«
    »Ja.«
    Frau Büchler war politisch stets sehr interessiert gewesen und wir hatten zu DDR-Zeiten lebhafte Diskussionen geführt.
    Ich dachte nach. »Ich fühle mich immer noch sehr wohl hier. In erster Linie weil es meine Heimat ist, unabhängig von den politischen Gegebenheiten.«
    »Die politischen Gegebenheiten spielen aber eine große Rolle, oder?«
    »Das ist richtig!«
    »Und?«
    »Wie bitte?«
    »Na, ich meine, bist du zufrieden mit der politischen Entwicklung hier … im Osten?«
    »Nein«, antwortete ich. Sie sah mich gespannt an. »Dieses gesellschaftliche Experiment …«
    In diesem Moment klingelte mein Handy. Es war Benno. Ich entschuldigte mich und ging hinaus in den Garten. Benno hatte sich inzwischen um seine Sekretärin gekümmert. Sie wusste in der Tat nicht, worum es bei unseren Sitzungen ging und er schärfte ihr ein, alles, wirklich alles, auch die Zusammensetzung unserer Expertenkommission, als streng geheim einzustufen. Andernfalls setze sie ihre Arbeitsstelle aufs Spiel. Sie war beeindruckt und versicherte, niemandem

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