Goetheruh
unter strengen Sicherheitsauflagen von einer zentralen Bundessicherheitsschlüsselvergabestelle in Berlin bezogen werden mussten.
Hermann hatte den Weimarer Schlosserbetrieb bereits aufgesucht. Laut dem Besitzer seien in letzter Zeit keine besonderen Ereignisse zu vermelden gewesen. Hermann fragte auch nach dem Personal, nach besonderen Spannungen, Kündigungen etc. Der einzige Fall war der eines jungen Mannes namens Thomas Reim, der vor ungefähr einem Jahr in Verdacht geraten war, Material gestohlen zu haben, und anschließend selbst gekündigt hatte. Hermann notierte sich seine Adresse. Er wohnte in Richtung Jena auf dem Lindenberg. Der Versuch, ihn ausfindig zu machen, endete ziemlich schnell und unerfreulich. Seine Mutter berichtete, dass ihr Sohn vor einigen Wochen mit dem Motorrad zwischen Weimar und Umpferstedt tödlich verunglückt sei. Die Strecke hatte schon viele Verkehrstote gefordert.
Ich wandte mich zunächst dem Telekom-Laden in der Schillerstraße zu, bevor abends der nächste Literaturkreis anstand. Der Verkäufer, ein junger Mann mit grünen Haaren, betrachtete mein altes, reichlich demoliertes Handy, sah mich an, sah wieder auf das Handy und … dachte sich seinen Teil.
»Meine Frau hat sich so über mich geärgert, dass sie mein Handy aus dem Fenster geworfen hat«, erklärte ich locker.
»Und Ihren Ehering hat sie wohl gleich mit rausgeworfen?«, entgegnete er mindestens ebenso locker.
»Nicht schlecht«, grinste ich, »um die Wahrheit zu sagen, ich bin ein bisschen zitterig, in meinem Alter lässt man schon mal was fallen.«
»Geht meinem Opa auch so …«
Sein Ton war ein wenig frech, aber nicht respektlos.
»Hier hab ich das ideale Handy für Sie!«
Er legte mir ein Mickey-Mouse-Telefon hin, das als Klingelton ein Schweinegrunzen vernehmen ließ.
»Hey, toll, das finden meine Studenten sicher ganz abgefahren!«
»Oh, Sie sind Professor?«, fragte er nun in ernstem Ton.
»Nein, kein Professor, aber Dozent an der Universität.«
»Oh, ja«, meinte er sehnsuchtsvoll, »ich wollte auch immer studieren, war aber leider nicht drin.«
»Schade, warum? Finanzielle Probleme?«
»Ja, Vater arbeitslos, Schwester behindert, keine Chance. Ich bin der einzige, der Geld verdient. Und das auch nicht viel.«
»Aber sie sind doch technisch interessiert und versiert, oder?«
»Wieso?«
»Sonst würden Sie doch nicht für die Telekom arbeiten!«
Er grinste. »Stimmt!«
»Das ist doch das Wichtigste. Interesse und Neugier für eine Sache!«
»Sie meinen, das reicht?«
»Es ist zumindest die Grundlage. Zum Erfolg gehören natürlich auch Fleiß und Anstrengung und manchmal etwas Glück, doch mit der inneren Passion für eine Sache gehen Anstrengung, Fleiß und Glück Hand in Hand.«
»So hab ich das noch nie betrachtet …« Er starrte mich an. »Ich hab aber nur Mittlere Reife und ’ne Lehre als Funkfuzzi!«
»Wie heißt das offiziell?«
»Rundfunk- und Fernsehtechniker.«
»Na, das ist doch was. Hier ist meine Visitenkarte. Wenn Sie wollen, kläre ich mal, unter welchen Bedingungen Sie damit an einer Fachhochschule studieren können. Rufen Sie mich so etwa in zwei Wochen mal an.« Ich drückte ihm meine Karte in die Hand.
Er war völlig perplex. »Das würden Sie für mich tun?«
»Sicher! Ich kann Ihnen zwar nichts versprechen, aber einen Versuch ist es wert.«
»Dr. Hendrik Wilmut, Institut für Literaturgeschichte, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt «, las er vor. »Aber … Sie kennen mich doch gar nicht?«
»Das macht nichts. Der erste Eindruck genügt mir. Ich glaube, dass Sie eine Chance verdient haben.«
Er sah mich mit großen Augen an und verkaufte mir das beste Handy der Welt.
»Silbergrau, passend zu Ihrer Haarfarbe«, kommentierte er lächelnd.
»Dann müsste Ihr Handy aber grün sein«, entgegnete ich.
Er zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche. Es war giftgrün.
Als ich den Laden verließ, wusste ich, was Onkel Leo und Oliver Held verband.
Es hatte angefangen zu regnen, ein leichter aber konstanter Landregen. Ich parkte auf dem Rollplatz, schnappte meinen großen schwarzen Schirm und stieg aus. Da sah ich Felix Gensing mit seinem alten roten Golf neben mir einparken. Er wirkte ziemlich mitgenommen.
»Hallo, Felix!«
»Ach … Hendrik, hab dich gar nicht … entschuldige!«
Er gab mir die Hand.
»Kann ich dir irgendwie helfen, Felix?«
»Was, wieso?«
»Entschuldige, aber du machst den Eindruck, als hättest du … ein
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