Goetheruh
und?«
»Goethe hasste Pudel, überhaupt alle Hunde, aber besonders Pudel. Schon in Sesenheim bei Straßburg haben die kläffenden Köter oft seine Treffen mit Friederike Brion gestört. Und später in Weimar wollte Corona Schröter ihrem Pudel eine Hauptrolle in einer Aufführung des Weimarer Hoftheaters geben. Das hat Goethe abgelehnt. Sie hat sich aber mithilfe von Herzog Carl August durchgesetzt, woraufhin Goethe die Intendanz abgab.«
»Ach, du liebe Zeit!«
»Ja, und bei Faust …«
»Bei Faust?«
»Ja. Goethe lässt Mephisto als Pudel auftreten, als dieser aber dann sein wahres Gesicht zeigt, fällt der bekannte Spruch: Das also ist des Pudels Kern! «
Alle waren in Gedanken versunken.
»Sonst noch was?«, fragte Benno.
Ich überlegte. »Sophie, als Jens bei dir in der Notaufnahme war, war er da eine Zeit lang allein, so ein paar Minuten?«
»Natürlich, am Wochenende sind wir unterbesetzt, ich musste die MTA anrufen und so weiter …«
»Hätte er in dieser Zeit irgendwo OP-Handschuhe stehlen können?«
Sie antwortete ohne Zögern: »Ja, sicher!«
Bennos Gesicht hellte sich auf. »Das Talkum?«
Jetzt witterte ich die Spur. »Stand in der Akte etwas von seiner Berufsausbildung?«
»Das steht immer drin, wegen möglicher Berufskrankheiten, aber ich weiß es nicht mehr.«
Ich zog mein neues graues Handy aus der Hosentasche und reichte es Sophie. »Bitte!«
Sie zögerte kurz. »Also gut!«
Dann wählte sie. »Guten Abend, Dr. Sophie Kessler von der Chirurgie, ich brauche dringend mal den diensthabenden Chirurgen.«
»Ja, danke, ich warte!«
Es dauerte nicht lange.
»Hallo, Gerhard, hier Sophie, ich möchte dich um einen Gefallen bitten, es ist sehr wichtig. Such doch bitte mal die Akte des Patienten Jens Werner Gensing heraus … ja, genau
G – E – N – S – I – N – G!«
Gerhard schien sehr hilfsbereit zu sein. Nach einer Minute war er wieder am Apparat.
»Gut, dann schau jetzt bitte mal nach dem angegebenen Beruf! … Aha … alles klar, vielen Dank!«
»Moment!«, rief ich in das Gespräch hinein.
»Warte mal«, sagte Sophie und verdeckte das Mikrofon mit ihrer Hand. »Was denn noch?« Sie war leicht gereizt.
»Frag bitte nach seiner Körperlänge und seiner Schuhgröße!«
»Du spinnst wohl, in einer Krankenakte steht doch nicht die Schuhgröße drin!«
Dann sprach sie wieder mit Gerhard: »Ich brauche auch die Körpergröße, bitte! Gut, ich danke dir, bis morgen!«
Sie gab mir das Handy zurück.
»Seine Körpergröße beträgt 1,83 Meter, als Beruf ist Schüler eingetragen.«
»Schüler?« Ich war enttäuscht.
»Ja, und zwar an der Karl-Liebknecht-Schule.«
»Kennt die jemand?«
»Ja, sicher«, antwortete Benno, »das ist eine Fachoberschule für Metallbearbeitung.«
Meine Enttäuschung war wie weggeblasen. Ich war total aufgeregt. Erst nach einem Schluck Rotwein konnte ich weitersprechen. »Er ist psychiatrischer Patient, er passt in das Altersraster, er hat Mechaniker-Kenntnisse, seine Körperlänge passt zur Schuhgröße 46, er hatte die Gelegenheit, OP-Handschuhe zu klauen und er benimmt sich wie Goethe. Seine Mutter hat großen Einfluss auf ihn und sie ist eine vehemente Anhängerin der Reinkarnationstheorie!«
»Der Reinkarnationstheorie?« Hanna starrte mich fassungslos an.
»Ja, sie glaubt ernsthaft daran, in ihrem früheren Leben ein Kolibri gewesen zu sein.«
»Mein Gott!« Hanna schüttelte ungläubig den Kopf.
»Und noch etwas. Unser Psychologe hat einige der infrage kommenden psychischen Erkrankungen so beschrieben, dass bei den Patienten eine Art innere Leere entsteht, die gefüllt werden muss. Zum Beispiel durch die selbstaufwertende Identifikation mit einer berühmten Person.
»Aha, und was heißt das jetzt?«, fragte Benno verwirrt.
Der junge Mann am Nebentisch redete erneut lauter als die anderen Gäste, was mir in diesem Moment fast recht war, denn so war ich sicher, dass niemand hören konnte, was ich jetzt zu sagen hatte. Ich beugte meinen Oberkörper nach vorn und die anderen taten es mir nach. Dann raunte ich: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jens Werner Gensing mit den Initialen JWG, die zufällig auch die Initialen von Johann Wolfgang Goethe sind, glaubt, die Reinkarnation von Goethe zu sein!«
9. Rastlose Liebe
E
ine fast euphorische Stimmung machte sich in mir breit, als ich am Dienstagmorgen erwachte. Wir kannten seinen Namen. Wir hatten den Fall so gut wie gelöst.
Ich trank einen Espresso und stellte die leere Tasse neben
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