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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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kriegen ihn, Benno«, sagte ich voller Überzeugung, »wir kriegen ihn bald, er wird einen Fehler machen und dann haben wir ihn.« Ich musste tief durchatmen. »Die Frage ist nur, welchen Preis wir dafür zahlen müssen.«

     
    Die dritte Woche meiner Mitarbeit an dem Goethehaus-Fall hatte begonnen. Und sie begann früher, als mir lieb war. Am Montag, um kurz nach 7 Uhr riss mich das Klingeln meines Telefons aus dem Schlaf. Es war Benno. Er entschuldigte sich für den frühen Anruf und meinte nur, ich solle doch mal in die ›Thüringer Nachrichten‹ reinschauen. Dann legte er wieder auf. Ich versuchte, ihn sofort zurückzurufen, doch einige Tasten meines Handys funktionierten nicht mehr, nachdem ich es gestern Nacht nur notdürftig wieder zusammengesetzt hatte. Technik war nicht eben mein Hobby.
    Wider aller Gewohnheit ging ich in Boxershorts, ungekämmt und mit nacktem Oberkörper, ohne Dusche und ohne Espresso die Treppe hinunter und zog die Zeitung aus dem Briefkasten. Eigentlich wollte ich sie erst oben lesen, doch bereits im ersten Stock fiel mein Blick unweigerlich auf die fett gedruckte Titelzeile:
    ›Mehrfacher Raub im Goethehaus –
    Polizei machtlos! Wohin verschwindet die deutsche Kultur?‹

     
    Ich ließ mich auf eine Treppenstufe sinken, unfähig zu denken, geschweige denn etwas zu sagen.
    Frau Semarak verließ ihre Wohnung mit der Einkaufstasche. Ich war nicht in der Lage, mich zu bewegen. Sie quetschte sich an mir vorbei und drehte sich zu mir um.
    »Geht’s Ihnen gut, Herr Wilmut?«
    Mein ungewöhnlicher Aufzug schien ihr Sorgen zu bereiten. Ich hob nur kurz die Hand als Zeichen, dass alles in Ordnung sei, und sie ging kopfschüttelnd weiter. Kurze Zeit später lief die achtjährige Tochter von Müllers aus dem zweiten Stock an mir vorbei.
    »Du siehst aber blöd aus«, rief sie.
    »Was?«
    »Du siehst blööööd aus!«
    Ein aufgewecktes Kind. Ich zog mich am Treppengeländer hoch und trottete ganz langsam, Stufe für Stufe hoch in meine Wohnung. Es kam mir so vor, als hätte ich eine halbe Stunde dazu gebraucht. Ich schleppte mich zur Kaffeemaschine, schaltete sie ein und ging ins Bad. Ich drehte den Wasserhahn voll auf und hielt meinen Kopf unter den eiskalten Strahl. Brrr … keine gute Idee! Als ich mit dem Kopf wieder hochkam, stieß ich mich am Spiegelschrank, dann lief das kalte Wasser an meinem Oberkörper herunter und in die Boxershorts hinein. Gar keine gute Idee! Mein Bademantel und ein doppelter Espresso hellten meine Stimmung etwas auf. Ich kämmte mir notdürftig die Haare, den Rasierapparat würdigte ich keines Blickes. Dann nahm ich mir den Zeitungsartikel vor. Der Schreiberling mit dem Namenskürzel ›SaSch‹ berichtete ziemlich ausführlich von den geraubten Gegenständen, bis zu einem gewissen zeitlichen Level auch von den Ermittlungen. Nur der Frankfurter Diebstahl und der fünfte Diebstahl von Samstagnacht waren nicht erwähnt. Der Anfang des Artikels war recht sachlich gehalten, gegen Ende wurde er allerdings immer polemischer, griff die Polizeiarbeit an, nach dem Motto ›Unprofessionelle Provinzpolizei‹ und drückte in puncto ›Deutscher Kulturbesitz‹ mächtig auf die Tränendrüse. Auch die mögliche Schmach vor der UNESCO-Kommission wurde lang und breit ausdiskutiert. Nur der Informant wurde nicht genannt.
    Aber da brauchte ich nicht lange zu überlegen: Der Artikel trug eindeutig die Handschrift von Hans Blume. Er wollte sich offensichtlich dafür rächen, dass der Oberbürgermeister ihn von unserem Fall abgezogen hatte. Ich war schockiert. Schockiert über so viel Dummheit und Gewalt. Ja, ich spürte tatsächlich eine Form von Gewalt, der ich ohnmächtig ausgesetzt war. Wut machte sich in mir breit. Eine einfache, urmenschliche Wut. Am liebsten hätte ich irgendwelche Einrichtungsgegenstände in die Ecke geworfen, konnte mich dann aber so weit beherrschen, dass ich nur die Schlafzimmertür zuknallte. Danach legte ich mich aufs Bett und starrte lange an die Decke.
    Gegen Mittag raffte ich mich endlich auf und fuhr ins Polizeipräsidium, immer noch unrasiert und völlig übermüdet. Sie saßen alle in Göschkes Konferenzraum. Als ich die Tür einen Spalt öffnete, winkte Benno mich sofort herein. Inzwischen gehörte ich ja schon fast zum personellen Inventar. Der Schreiberling von den ›Thüringer Nachrichten‹ namens Sandro Scherer wurde gerade vernommen. Er berief sich auf die Pressefreiheit und weigerte sich, seinen Informanten preiszugeben. Jeder muss

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