Goetheruh
angehört,
als der Gedanke, der ungestört,
aus meiner Seele will fließen.
Und jeder günstige Augenblick,
den mich ein liebendes Geschick,
von Grund aus läßt genießen.
Er wusste nicht mehr, aus welchem Gedicht diese Worte stammten, doch sie hatten es ihm angetan. Vor Kurzem erst hatte er sie in einem Café gelesen, in einem schäbigen Rahmen an der Wand hängend, eines Genies völlig unwürdig. Aber er hatte sie verinnerlicht, diese Zeilen. Man konnte ihm alles wegnehmen, sein Zuhause, sein Klavier, seine Schwester, vielleicht auch seine Bücher – doch nicht seine Gedanken.
Es war gegen Mittag, als er den Artikel entdeckte, auf der Rückseite der Zeitung, die sein Tischnachbar im Straßencafé am Frauenplan las. Er zahlte sofort, eilte zum Kiosk in der Schillerstraße und kaufte sich die gleiche Ausgabe. Zuerst musste er lachen über die dilettantische Recherche. Es wurden nicht einmal alle Raubzüge erwähnt. Doch dann machte sich der Druck bemerkbar, der auf ihm lastete. Er wurde gesucht, es wurde überall nach ihm gefahndet. Auch wenn sie gar nicht wussten, wen sie eigentlich suchten, so spürte er doch ihre Blicke auf sich gerichtet. Als zwei uniformierte Polizisten vorbeikamen, wandte er unwillkürlich sein Gesicht ab. Nein, so einfach würden sie ihn nicht bekommen. Wieder machte sich diese Wut in ihm breit. Er war sich nicht sicher, ob er sich diesmal beherrschen konnte.
Sicherheitshalber musste er das Zeug unbedingt loswerden. Er beschloss, mit seinem Verbindungsmann Kontakt aufzunehmen.
*
Kurz vor zwölf klingelte das Telefon in Göschkes Konferenzraum, es war der Oberbürgermeister. Peter Gärtner hatte Hans Blume suspendiert. Daraufhin hatte sich dieser bei Ministerpräsident Adler in Erfurt beschwert. Adler hatte die Suspendierung zunächst aufrechterhalten, telefonierte danach aber lange mit dem OB Gärtner musste ihm nun natürlich reinen Wein einschenken. Der Ministerpräsident wollte am Donnerstag nach Weimar kommen, um die Angelegenheit mit dem OB persönlich zu besprechen. Peter Gärtner wusste, dass dem Ministerpräsidenten Weimar besonders am Herzen lag, zum einen, weil es seine Geburtsstadt war, und zum anderen, weil seine Tochter hier lebte und arbeitete.
Der Fall zog weiter seine Kreise. Beim Haftprüfungstermin für Oliver Held wurde festgestellt, dass er nicht der Seriendieb sein konnte, da er Samstagnacht noch in Untersuchungshaft saß und deshalb dem Goethehaus keinen Besuch hätte abstatten können. Trotzdem blieb er in Haft, da der Verdacht des Drogenhandels nicht ausgeräumt war. Onkel Leo war sehr betrübt über dieses Ergebnis, da er zunächst gedacht hatte, Oliver Held sei nun vollkommen aus dem Schneider. Er zog sich nach Hause zurück und grübelte.
Das Frankfurter Goethehaus am Großen Hirschgraben war ebenfalls geschlossen worden. Die Museumsleitung nutzte die Zeit, um längst fällige Reparaturarbeiten an der Elektroinstallation durchführen zu lassen. Der Frankfurter Kulturdezernent wurde ohne Umschweife eingeweiht, ebenso die Oberbürgermeisterin, sonst niemand. Eine Abgeordnete der Frankfurter Ausbau Gegner brachte eine Anfrage dazu ins Stadtparlament ein und wollte wissen, warum genau das Goethehaus geschlossen wurde und was die Renovierung kosten würde. Mehr als einen fünfzeiligen Vermerk war dies der Redaktion des ›Frankfurter Anzeiger‹ jedoch nicht wert und sodann war die ganze Geschichte in der Versenkung verschwunden.
Die Spurensicherung im Nebengebäude des Weimarer Goethehauses durch Kommissar Hermann und seine Leute war inzwischen abgeschlossen. Das Gebäude gehörte ebenso wie das Goethehaus selbst zur Klassik Stiftung Weimar, stand zurzeit aber leer. Hier waren keinerlei Alarmanlagen installiert, denn die einzige Verbindung zum Goethehaus bestand in der besagten schweren alten Holztür im Keller, die als unbenutzbar eingestuft worden war. In den Außentüren waren moderne Sicherheitsschlösser installiert, an denen keine Spuren von Gewaltanwendung zu erkennen waren, der Täter musste also einen Nachschlüssel benutzt haben. Hermanns Mitarbeiter hatten sich einige Stunden mit dieser Spur beschäftigt. Keiner der betreffenden Schlüssel war aus dem zentralen Schlüsselkasten des Goethemuseums jemals vermisst worden. Als einzige Besonderheit stellte sich heraus, dass die Schlüssel des Nebengebäudes von einem lokalen Weimarer Schlosserbetrieb geliefert worden waren, während alle Schlüssel des Goethehauses und des Museums
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