Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
wie vor sechs Jahren?«
»Nein,
auch das nicht.«
»Na
gut, dann kann ich den Bericht ja wieder …«
Bevor
ich die Papiere in meiner Jackentasche verschwinden lassen konnte, schnappte
Siggi zu wie ein Alligator. »Die bleiben hier!«, grinste er.
»Ja,
was willst du denn nun?«, fragte ich.
»Pass
auf, ich brauche natürlich deine Ergebnisse, aber es darf niemand wissen. Klar?
Wenn gleich jemand in diesen Raum kommen sollte, egal wer, lasse ich diesen
Bericht verschwinden und wir unterhalten uns über …«, er kramte in einer
Schublade, »… hier, Urlaub im Thüringer Wald.«
Ich
musste schmunzeln. »Noch näher ging es wohl nicht?«
»Egal.«
Damit legte er einen dünnen Prospekt auf den Tisch. »Und demnächst müssen wir
uns außerhalb des Präsidiums treffen. So, und nun leg los!«
Also
legte ich los, ging Liebrichs gesamten Lebenslauf durch, merkte an, dass zum
Verhältnis zwischen Liebrich und von Wengler in deren Leipziger Zeit
Informationen fehlten. Siggi konnte vielleicht Kriminaloberkommissar Meininger
dort hinschicken, im Recherchieren war er gut und wenigstens eine Zeit lang
weit weg von mir. Dann schlug ich vor, den Grund für Liebrichs kurzes
Engagement in Hamburg herauszufinden, das schien mir verdächtig, da Verträge
mit Intendanten meistens längerfristig gemacht wurden. Vielleicht konnte man
auch zu den zehn Jahren in Gießen einige Details finden, womit wir zum
Kernpunkt kamen: seine Zeit in Frankfurt von 2002 bis 2007. Seit 2003 war er
mit Dana Hartmannsberger liiert, 2004 die Sache mit Steffi Feinert und im
gleichen Jahr die Anstellung von Joachim Waldmann als Sekretär. Was das für
eine Sache mit dieser Steffi sei, wollte Siggi wissen. Ich erklärte ihm, dass
sie die Tochter des Kamillentee-Regisseurs sei, und berichtete von dem Gespräch
mit ihr im Café Karin.
Siggi
war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, brummte vor sich hin, machte
mehrmals »Hmm« und »Ahh«. Dann fragte er mich nach einer persönlichen
Einschätzung zu Reinhardt Liebrich. In diesem Punkt war ich mir inzwischen
ziemlich sicher: Liebrich war ein klassischer Machtmensch. Er tat alles, um
sein Ziel zu erreichen, war dabei vernünftigen Argumenten gegenüber nicht mehr
offen, sobald diese seine Macht gefährdeten, und akzeptierte auch Stillstand,
nur um seinen Machtbereich zu erhalten. Siggi wollte genauer wissen, was ich
mit diesem Stillstand meinte. Allein die Tatsache, dass er Dana Hartmannsberger
in die Rolle der Marie lancierte, führte zu einem künstlerischen Stillstand,
wenn nicht sogar zu einem Rückschritt. Das störte ihn aber nicht. Siggi nickte
und fragte, ob ich nun der Meinung sei, dass Liebrich die Pajak entführt hatte.
Das konnte ich natürlich nicht behaupten, aber zumindest hatte er die Situation
skrupellos ausgenutzt.
»Mit
Unterstützung von Benno«, bemerkte Siggi.
»Musst
du deswegen Benno als Tatverdächtigen einstufen?«, fragte ich zurück.
»Dazu
kommen wir später. Wichtiger ist jetzt die Sache mit dem Machtmenschen, die ist
mir noch unklar.«
»So
etwas kann ich am besten mit Beispielen aus meiner Arbeitswelt erklären. In der
Literatur gibt es Machtmenschen in unterschiedlichen Ausprägungen. Zum Beispiel
König Philipp II. von Spanien, der Vater von Don Carlos in Schillers Drama. Bei
ihm ging es verstärkt um die Ausübung sexueller Macht, bei Shakespeares Richard
III. hauptsächlich um Herrschaftsansprüche, die mit blutigen Mitteln
durchgesetzt wurden. Wieder eine andere Art von Machtmensch war Diederich
Heßling in Heinrich Manns ›Der Untertan‹: nach oben buckeln, nach unten
treten.«
»Und
welcher Typ ist Liebrich?«, fragte Siggi.
»Ich
bin mir nur noch nicht klar darüber, wie sein Machtwahn – wenn wir es mal so
nennen wollen – genau konstruiert ist. Das sollten wir herausfinden.«
In
diesem Moment klopfte es an der Tür. Siggi ließ Richards Protokoll in eine
offene Schublade fallen und schob sie leise zu.
»Ja,
bitte!«
Meininger
trat ein. »Herr Dorst …« Er stockte, als er mich erkannte. »Herr Wilmut, Sie
schon wieder!«
Ich
erhob mich. Kriminaloberkommissar Meininger sah genauso aus wie bei unserem
letzten Fall 2004: nach hinten gekämmte Gelfrisur, erstaunlicherweise immer
noch ohne graue Schläfen, solariumgebräunte Aztekenhaut, Klamotten vom
italienischen Modedesigner.
Ich gab
ihm die Hand. »Wieso schon wieder? Zuletzt haben wir uns vor drei Jahren
gesehen.«
Bevor
er antworten konnte, sagte Siggi: »Was gibt’s, Herr
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