Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
ich!« Keine
Reaktion. Ich sah auf die Uhr: 5.20 Uhr. Es hatte keinen Zweck, länger gegen
die Tür zu schlagen. So früh war niemand in der Weimarhalle. Langsam ging ich
durch den Raum, schloss die Kühlschranktür und setzte mich auf die Sektkartons.
Suchte
mich denn niemand? Siggi und ich waren nach dem Konzert verabredet gewesen. Was
er wohl gedacht hatte, als ich nicht erschienen war? Wahrscheinlich: Hendrik
hat wieder einmal eine Verabredung vergessen. Dafür war ich bekannt. Ich
schüttelte den Kopf über mich selbst. Hanna? Hanna! Sie musste mich vermissen.
Oh, wie schrecklich für sie … Sie war in Gera im Hotel und hatte bestimmt schon
viele Male versucht, mich anzurufen. Apropos – mein Handy … ich kramte in der
Hosentasche, ja, es war noch da. Ich schaltete es ein – kein Netz. Hier unten
im Keller war der Empfang natürlich denkbar schlecht. Immerhin war es Freitag,
ein normaler Arbeitstag, also war die Chance, dass jemand irgendwann im Laufe
des Tages Vorräte aus diesem Raum holen würde, relativ hoch. Ich lief unruhig
auf und ab.
Wollte
mich da jemand warnen? Offensichtlich. Wenn ja, wer? Und würde mehr geschehen,
wenn ich weiter an dem Fall arbeitete? Liebrich – kam diese Abmahnung von ihm?
Eine andere Person fiel mir nicht ein. Er wusste sicher, dass ich Benno daran
hindern würde, nach Frankfurt zu gehen. Aber es ging nicht um die Sache als
solche. Es ging nur um seine Macht. Um Liebrichs Macht. Das Bild von gestern
Abend kam mir in den Sinn, die Situation als ich diesen Raum betrat, die weißen
Kacheln, der eklige Lappen, die Frau … Ewa Janowska. Auch sie kam infrage. Aber
woher sollte sie wissen, dass ich sie beobachtete? Und die blonde Frau im
langen schwarzen Kleid war nicht allein gewesen. Die kräftige Hand, die den
stinkenden Lappen in mein Gesicht gedrückt hatte, war eindeutig eine
Männerhand. Leichte Übelkeit stieg in mir hoch. Ich blickte erneut auf die Uhr,
kurz vor sechs. Geduld.
An dem
Regal hing eine alte Arbeitsjacke, ich zog sie mir über und nahm ein paar
Schlucke Cola, die meinen Magen beruhigten. Dann verschob ich die Sektkartons
so, dass ich mich darauf legen konnte, die Füße im Regal und in der Gewissheit,
noch einige Stunden warten zu müssen, fiel ich in einen tiefen, satten Schlaf.
»Hallo, Sie!«
Ich war
sofort wach. Vor mir stand der Häppchenkellner.
»Ich
finde es ja toll, dass Sie mir gestern Abend beim Sektausschank geholfen
haben«, sagte er. »Aber deswegen brauchen Sie ja nicht gleich im Vorratsraum zu
übernachten.«
Ich
blinzelte. »Wie spät ist es?«
»Kurz
vor zehn.«
»Jemand
hat mich dazu gezwungen«, brummte ich.
Sein
Mund blieb offen stehen. Im selben Moment hörte ich von oben laute Rufe und
kräftige Schritte.
»Alles
durchsuchen!«, rief eine mir bekannte Stimme. »Sie nehmen diesen Teil, ich gehe
hier rechts!«
Ein
Uniformierter erschien in der Tür. »Herr Hauptkommissar, wir haben ihn!«, rief
er.
Sekunden
später stand Siggi vor mir. Er sah mich prüfend an. »Mann, Hendrik, was machst
du denn für Sachen?«
»Danke
der Nachfrage, mir geht’s gut«, antwortete ich.
»Was
ist passiert?«
Ich
zuckte mit den Schultern. »Chloroform oder so was Ähnliches. Ein Mann und eine
Frau, gestern Abend, direkt nachdem wir miteinander gesprochen haben.«
Er
nickte. »Nichts anfassen«, befahl er, »auch Sie nicht!« Der Häppchenkellner
verließ kopfschüttelnd den Raum. »Brauchst du einen Arzt?«
»Nein,
danke.« Der Schlaf hatte mir gutgetan.
Siggi
griff nach seinem Funkgerät: »Meininger, ich brauche die Spusi, im Keller
links. Und dann übernehmen Sie hier bitte, ich muss weg.«
»Wo
willst du denn hin?«, fragte ich.
»In den
Ratskeller, bin zum Frühstück verabredet.«
»Mit
wem?«
»Wirst
du schon sehen.«
»Danke
für die Einladung, hab einen Mordshunger.«
»Diese
Worte benutzen wir im K1 nicht so gerne.«
»Welche
Worte?«
»Mordshunger,
Mordswetter, Mordsirgendwas …«
»Verstehe.
Lass uns gehen.«
Siggi hatte im Innenhof der
Weimarhalle geparkt. Wir fuhren hinaus in die Schwanseestraße, mussten rechts
abbiegen, weil die Kreuzung an der Hauptpost wegen einer Baustelle gesperrt war
und nahmen den Umweg am Schwimmbad vorbei über die Friedensstraße, dann am
Goethe- und Schillerarchiv entlang über die Kegelbrücke bis zum Schloss. So
blieb mir noch Zeit, Hanna anzurufen. Sie hatte sich zwar Sorgen gemacht,
vermutete aber, dass ich den Akku meines Handys mal wieder nicht aufgeladen
hatte. Ich
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