Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
heute einiges bewegen würde. Richard Volk
war am Apparat. Er teilte mir mit, dass zu dem Kennzeichen F-ZE vier
dunkelblaue Autos passten und las mir die Namen der Fahrzeughalter vor:
Heinrich Oberländer, Eva Büchner, Hermine Schlierbach und Almuth Heuser. Er
fragte, ob mir eine der Personen bekannt vorkomme. Ich überlegte, ließ mir die
Namen ein zweites Mal vorlesen und war mir dann ganz sicher: Keine dieser
Personen löste auch nur irgendeine Assoziation in meinem Hirn aus. Richard
klang enttäuscht, wollte aber weitersuchen.
»Nächster
Halt: Südbahnhof!«, erscholl es aus den Lautsprechern. Ich verließ die S-Bahn
und nahm die lange Rolltreppe nach oben. Bisher schien sich der Andrang auf den
neuen OB-Kandidaten in Grenzen zu halten, aber immerhin war noch eine Stunde
Zeit bis zum Veranstaltungsbeginn. Mein Plan bestand darin, einen der vorderen
Sitzplätze zu ergattern, um irgendwann mit Benno Blickkontakt aufzunehmen. Wenn
er mich erst einmal gesehen hatte, würde er ein Treffen sicher nicht ablehnen.
Pia Ross kannte ich nur flüchtig, hatte einmal kurz mit ihr während einer
Ausstellungseröffnung im Goethehaus am Großen Hirschgraben gesprochen und hatte
sie als umgängliche Person kennengelernt.
Der
Saal war bereits geöffnet, überall liefen Leute herum, die Vorbereitungen
trafen, die Lautsprecher justierten, Prospekte auslegten, Stühle rückten und
Getränke bereitstellten. Benno war nirgends zu sehen. Ich überlegte einen
Moment, ob ich versuchen sollte, ihn vor der Veranstaltung zu kontaktieren,
verwarf den Gedanken dann aber schnell, denn es kam mir äußerst unfair vor, ihm
direkt vor seiner ersten Wahlkampfveranstaltung mitzuteilen, dass seine Frau
gestorben war. Anderseits konnte diese Nachricht seine gesamte Wahlkampagne
umkrempeln, vielleicht sogar beenden. Inzwischen war mir Benno so fremd
geworden, dass ich nicht mehr einschätzen konnte, wie er reagieren würde.
Vielleicht würde er sich auch nur kurz schütteln und weitermachen. Benno, unser
Benno. Mein Freund Benno. Tief im Inneren hoffte ich inständig, dass es nie so
weit kommen würde.
Inzwischen
hatte sich ein ganzer Pulk Fotografen vor der Bühne aufgebaut, die ihre
Teleobjektive und Blitzgeräte vorbereiteten. Der Saal wurde immer voller.
Transparente wurden geschwenkt: ›Pia, wir danken dir!‹ Überall an den Eingängen
standen Ordner, die Organisation war perfekt. Ein blonder Schönling erschien
auf der Bühne und meinte, es gehe jetzt bald los, alle sollten ordentlich
applaudieren, wenn Pia Ross hereinkäme. Ein Jubelsturm brach los, als ihr Name
fiel. Dann erschien sie. Zunächst allein. Frenetischer Applaus, Jubelrufe,
einige skandierten ihren Namen.Ich war verwundert, wie beliebt Pia Ross
in Frankfurt war, auch wenn viele der Anwesenden Sympathisanten aus ihrer
Partei waren. Ihre streng frisierten Haare und ihre dunkle Stimme überraschten
mich, so hatte ich sie nicht in Erinnerung. Sie konnte reden. Sie konnte das
Publikum ansprechen, für sich einnehmen, sprach von den schönen Jahren in
Frankfurt, erzählte sogar von den Problemen, dankte ihren Helfern, ihren
Parteifreunden und ihren Fans, die erneut aufheulten. Dann fiel zum ersten Mal
der Name Benno Kessler. Höflicher Applaus. Die amtierende Oberbürgermeisterin
betonte, wie froh sie sei, Herrn Kessler als Kandidat gewonnen zu haben, dass
sie ihn nach Leibeskräften unterstützen wolle, dass die Frankfurter Bürger in
guter demokratischer Tradition jedoch das letzte Wort hätten. Schließlich werde
ein Oberbürgermeister ja direkt vom Volk gewählt.
Benno
erschien. Ich hielt die Luft an. Er sah gut aus. Sein Gesicht strahlte, er trug
einen hellgrauen Anzug, ein blaues Hemd ohne Krawatte, was ihm eine jugendliche
Note verlieh. Seine Figur füllte die Bühne, er strahlte eine Präsenz aus, die
im gesamten Saal spürbar war. Sofort fiel ein Blitzlichtgewitter über ihn
hernieder. Mit einem kräftigen »Hallo, Frankfurt!« holte sich Benno den ersten
tobenden Applaus. Dann bedankte er sich artig bei Pia Ross – zweiter Applaus.
Die herausragende Bedeutung Frankfurts in Hessen, Deutschland und der Welt zu
stärken, ohne die Menschen dabei zu vergessen, das war sein Credo. Damit nahm
er die Leute für sich ein. Zumindest diejenigen im Saal. Selbst ich war
begeistert. Gleichzeitig verkrampfte sich mein Magen, wenn ich daran dachte,
dass ich Bennos Traum gleich zerstören musste.
Ich saß
in der zweiten Reihe und versuchte mehrfach, mich bemerkbar zu machen. Doch er
sah
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