Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
mehr.
Das Adrenalin pulsierte durch
meinen Körper. Dieser Tag konnte eine Entscheidung bringen. Zunächst musste ich
dringend nach Hause, denn der Polizist, den Meininger für unser Haus abgestellt
hatte, wartete immer noch. Ich wollte sehen, ob ich die Terrassentür reparieren
konnte, duschen, frische Sachen anziehen und einen kleinen Koffer packen. Dann
musste ich Siggi aus dem Bett klingeln und ihm von dem Gespräch mit Liebrich
berichten, er würde seine Schlussfolgerungen ziehen. Danach ging es auf die
Autobahn Richtung Frankfurt.
Auf dem
Weg in die Humboldtstraße fiel mir siedend heiß ein, dass ich Liebrich
überhaupt nicht auf Jolanta Pajak angesprochen hatte. Egal, er hätte sich wohl
mit seinem angeblich so wasserdichten Alibi herausgeredet, an das ich sowieso nicht
glaubte. Aber das war Siggis Aufgabe, ich musste mich um Benno kümmern.
Ich
dankte dem Polizisten, ging durchs Haus und stellte fest, dass nichts gestohlen
worden war. Den alten Fensterladen vor der Terrassentür sicherte ich mit einer
Kette und einem Vorhängeschloss. Auf dem Küchentisch hinterließ ich einen
Zettel für Hanna und Karola mit einem kleinen Gruß und der Adresse des
Handwerkers, der ein neues Sicherheitsschloss einbauen sollte. Dann packte ich
meinen Koffer.
Gegen 8 Uhr klingelte ich bei Siggi
Sturm. Sein Haus in der Windmühlenstraße lag unbeleuchtet im grauen
Morgennebel. Ich klingelte erneut. Endlich öffnete sich ein Fensterladen im
ersten Stock. Ellas Wuschelkopf kam zum Vorschein. Ich winkte ihr zu.
»Es ist
Hendrik«, rief sie nach hinten ins Schlafzimmer.
»Hätte
ich mir ja denken können«, kam es von drinnen zurück. Eigentlich wollte ich zum
Mittagessen bei meiner Mutter sein, doch die Unterredung mit Siggi dauerte
länger als geplant. Ich musste das Gespräch mit Liebrich exakt wiederholen und
hatte meine liebe Mühe, ihn von der Realityshow-Theorie zu überzeugen. Ella
hörte uns zu. Sie verstand sofort, was Liebrich vorhatte: Er wollte uns seine
persönliche Version des ›Clavigo‹ überstülpen, um zu beweisen, dass er der
bessere Intendant und Regisseur war. Jedenfalls besser als Hubertus von
Wengler.
Liebrichs
Aussage zu Joachim Waldmann musste ich mehrmals wiederholen. Siggi machte sich
Notizen und überlegte. Schließlich rief er Meininger an und beauftragte ihn,
die Fahndung nach Waldmann einzuleiten. Dann führte er ein kurzes Gespräch mit
Lehnert, mit dem er sich gegen Mittag im Präsidium treffen wollte, um einen
Haftbefehl gegen Waldmann wegen Freiheitsberaubung zu erwirken und um zu
klären, ob dieser auf Mord ausgeweitet werden konnte. Nach Siggis kurzer
Schilderung wollte der Kriminalrat versuchen, einen Haftbefehl gegen Liebrich
zu bekommen, wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung. Vorläufig. Vielleicht
fänden sich weitere Straftaten.
Das
Kripoteam unter Siggis Leitung hatte mittlerweile einige neue Erkenntnisse
gewonnen. Ein Zeuge in der Hoffmann-von-Fallersleben-Straße hatte die
Beobachtungen des Busfahrers bestätigt. Dem Frankfurter Kennzeichen fügte er
sogar die Mittelbuchstaben hinzu: F-ZE. An die Zahlen konnte er sich nicht mehr
erinnern, die Farbe des Wagens hatte er mit dunkelblau angegeben. Richard Volk
war bereits informiert. Nach dem DNA-Ergebnis der blonden Haare im Keller der
Weimarhalle hatte Siggi die Flötistin Ewa Janowska vorläufig festgenommen. Sie
konnte nicht erklären, wie ihre Haare in den Keller gekommen waren, und hatte
natürlich ein hervorragendes Alibi: Zu der Zeit, als ich im Keller betäubt und
eingeschlossen wurde, saß sie auf der Bühne und spielte Bruckner. Ihr
Vermieter, der Musikprofessor, konnte nur Positives über Frau Janowska
berichten und eine sonstige Querverbindung zu Reinhardt Liebrich – außer der
Nachbarschaft – gab es nicht. Siggi musste sie wieder freilassen. Sie durfte
Weimar allerdings nicht verlassen und ihr Telefonanschluss wurde überwacht,
denn sie gehörte wegen der seltsamen Geschichte mit der Warschauer
Schauspielschule weiterhin zu den Verdächtigen. Auch von Klaus Felder, dem
Finanzmann aus Erfurt, gab es nichts Neues, er schwieg beharrlich. Siggi selbst
hatte die heikle Aufgabe übernommen, noch einmal mit Nicoletta Berlinger, dem
Edel-Callgirl, zu sprechen. Nachdem er ihr mit einer Aussage vor Gericht
gedroht hatte, erklärte sie schließlich, dass Benno nur ein einziges Mal bei
ihr war und gar keinen Sex wollte, sondern nur reden. Offensichtlich hatte sie
das geärgert, sodass sie den Kontakt mit dem Stadtrat
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