Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
mich nicht. Immer wieder blickte er von seinem Rednerpult in die Menge, quasi
über mich hinweg. Dann stand ich auf, was von den Leuten hinter mir mit
wütenden Protesten quittiert wurde. Ich winkte und winkte, wie verrückt, bis
eine Frau neben mir fragte, ob ich noch richtig im Kopf sei. Ich meinte, dass
ich das manchmal selbst nicht mehr wüsste. Daraufhin sagte sie: »Wink weiter,
Schatzi!« Ich lachte und sie lachte ebenso.
Schließlich
war Bennos Rede zu Ende und er zog sich schnell zurück, weil er einen
Pressetermin habe, wie er sagte. Ich verließ den Saal und versuchte, in den hinteren
Teil des Gebäudekomplexes zu gelangen. Es war nicht einfach, den richtigen Weg
zu finden, obwohl ich vor vielen Jahren schon einmal mit dem Schulchor hier
war. Ich kam an Büros vorbei, Garderoben, Technikräumen und Teeküchen.
Ausführlich betrachtete ich jedes Türschild.
»Halt!«
Vier kräftige Hände packten mich an den Armen. Blaue Uniformen,
Sicherheitsdienst. »Was machen Sie hier?«
»Ich
möchte zu Herrn Kessler …«
Der
eine lachte gehässig. »Zu dem möchten viele. Sie haben hier hinten nichts zu
suchen, verlassen Sie sofort das Gebäude!«
Es war
nahezu unmöglich, mich aus der Umklammerung zu befreien. Wie Schraubstöcke
spannten sich die Hände der beiden Wachleute um meine Oberarme und hoben mich
hoch.
»Autsch,
Sie tun mir weh, Mann!«
»Ach
tatsächlich, na, so ein Pech!«
»Ich
bin der Cousin von Herrn Kessler, ich muss ihn unbedingt sprechen, es ist
wichtig!«
»Na
klar, und ich bin sein Onkel!« Der Zweite lachte laut.
Ich
nahm meine ganze Kraft zusammen und trat dem Lachenden gegen das Schienbein.
Kurzfristig ließ er locker, ich konnte mich losreißen und rannte. Doch die
Jungs waren schnell. Ehe ich den nächsten Flur erreicht hatte, stellte mir der
eine von hinten ein Bein und ich landete der Länge nach auf den Fliesen. Mein
Kinn tat weh, ich schmeckte Blut.
Klack,
klack, schon schlossen sich die Handschellen. Ich wusste bis dahin gar nicht,
dass private Sicherheitsdienste auch Handschellen benutzen durften. Einer der
beiden Sicherheitsleute rief über sein Handy die Polizei an.
»Ich
heiße Hendrik Wilmut, ich bin wirklich sein Cousin, meine Güte, fragen Sie ihn
doch. Bitte!«
Die
beiden sahen sich unsicher an. »Ruf den Bräunlich an«, sagte der eine. Der
andere telefonierte erneut.
Eine
Minute später bog der blonde Schönling um die Ecke, gefolgt von Pia Ross. Sie
schüttelte den Kopf. »Du liebe Zeit, Herr Wilmut, wie sehen Sie denn aus?«
»Hallo,
Frau Ross, ich bin äußerst erfreut, Sie zu sehen.«
»Das
glaube ich«, sagte sie, und an die Uniformierten gewandt: »Machen Sie ihn los,
Herr Wilmut ist ein bekannter Literaturwissenschaftler von der Uni, ich kenne
ihn, und nur weil er aus Offenbach kommt, müssen Sie ihn ja nicht gleich
festnehmen!«
»Er hat
uns angegriffen«, entgegnete einer der Sicherheitsleute.
»Stimmt
das, Herr Wilmut?«
»Nein,
ich habe lediglich Benno gesucht, bin zugegeben hier eingedrungen, habe aber
niemanden angegriffen, mich nur gewehrt.«
»Stimmt
das, meine Herren?«, fragte die Oberbürgermeisterin streng. Die beiden nickten.
»Also, Handschellen öffnen!«
Die
Sicherheitsleute gehorchten. »Er behauptet, der Cousin von Herrn Kessler zu
sein.«
Pia
Ross sah mich erstaunt an. »Und, sind Sie sein Cousin?«
»Ja,
allerdings.«
»Gut,
ich glaube Ihnen, kommen Sie mit. Aber zuvor sollten Sie sich etwas …
restaurieren.«
Ich
lächelte. Vor dem Gebäude erklang ein Martinshorn. Pia Ross zeigte auf die
beiden Uniformierten. »Sie erklären der Polizei, dass das Ganze ein Irrtum war. Ihr Irrtum. Und erwähnen Sie keine Namen, weder meinen noch den von
Herrn Wilmut, klar?« Die Angesprochenen verzogen das Gesicht in einer Weise,
die Schadenfreude in mir aufkommen ließ.
Nach
einer kurzen Restaurationsphase in der Herrentoilette führte mich Pia Ross in
den Presseraum. Benno befand sich mitten in einem Interview. Als er mich im
Hintergrund erblickte, zögerte er kurz, sprach dann aber geschmeidig weiter.
»Er
macht das sehr gut«, flüsterte mir die Oberbürgermeisterin zu. Ich nickte. Mein
Magen verkrampfte sich immer mehr. »Ich muss jetzt gehen, Herr Wilmut, dies ist
Herr Bräunlich, unser Wahlkampfmanager, er wird sich um Sie kümmern.« Der blonde
Adonis stand neben mir.
»Danke,
Frau …« Schon war sie verschwunden.
»Sie
sind der Cousin von Herrn Kessler?«, fragte Herr Bräunlich.
»Ja,
das
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