Götter der Nacht
aber nicht auf mein Ziel richte? Was passiert dann?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Corenn nach kurzem Nachdenken. »So etwas ist mir noch nie in den Sinn gekommen.«
»Kann ich es ausprobieren?«
»Untersteh dich! Meinst du nicht, du solltest erst einmal lernen, die Magie auf gewöhnliche Weise zu benutzen, anstatt gleich zu versuchen, gewisse Grenzen zu überschreiten? Erinnere dich an die Starre, in die du nach dem Experiment mit Miff gefallen bist!«
Yan sah zu dem Mausäffchen hoch, das wie immer auf Bowbaqs Schulter hockte. Sie alle hatten sich so sehr an seine Anwesenheit gewöhnt, dass sie es bisweilen ganz vergaßen.
Er dachte daran zurück, wie er in den Geist des Affen eingedrungen war und von seinem Körper Besitz ergriffen hatte. In der Heiligen Stadt Ith hatte er dasselbe mit einem Zü getan. Und doch wusste er immer noch nicht, was genau dabei vor sich ging.
»Der Tiefe Geist ist der Ort, an dem die Seele mit dem Körper verbunden ist«, sagte Bowbaq, bevor Corenn ihn daran hindern konnte. »Wenn man ihn erreicht, kann man seinen eigenen Geist dort verankern und den fremden Körper in Besitz nehmen. Genau das hat mir das Gespenst in der Bibliothek angetan.«
»Und was passiert mit dem heimgesuchten Geist?«, fragte Yan, der wegen der ermordeten Züu immer noch ein schlechtes Gewissen hatte. »Leidet er?«
»Unter seiner Hilflosigkeit, ja. Er wehrt sich, und er stößt innerlich stumme Schreie aus. Aber er kann nichts tun, solange der andere die Oberhand hat.«
»Kann sich das Kräfteverhältnis denn umkehren?«, fragte Corenn interessiert.
»Das kann passieren. Ich kenne zwei solcher Fälle. Der Erjak kann verlieren und ein Gefangener des fremden Körpers werden, ohne über ihn verfügen zu können. Dort bleibt er dann bis zu seinem Tod, oder bis er die Kontrolle zurückgewinnt.«
»Wie grauenvoll!«, rief Yan.
»Ja. Es kommt auch vor, dass sich der heimgesuchte Geist in den Körper des Erjak flüchtet. Man hat mir davon erzählt. Es soll Männer geben, die sich wie Wölfe, Bären oder andere Tiere verhielten, bis die Geister in ihren jeweiligen Körper zurückfanden.«
Yan lief ein Schauer über den Rücken, als er sich vorstellte, dass der Züu in seinen Körper hätte gelangen können.
Vermutlich hätte er in solch einem Fall Rey und Bowbaq angegriffen, so wie Yan die beiden Züu mit dem vergifteten Hati ihres Gefährten erstochen hatte.
Wenn er an diesen Augenblick zurückdachte, empfand er Scham und Trauer. Doch er hatte nur getan, was nötig gewesen war, und keiner der anderen hatte ihm je Vorwürfe gemacht. Hätten sie nicht so große Ehrfurcht vor seinen magischen Kräften gehabt, hätten sie ihn sogar zu seiner Tat beglückwünscht. Doch so versuchten die Gefährten, das furchtbare Ereignis zu vergessen.
»Ich bin so weit«, verkündete Lana plötzlich mit tränenerstickter Stimme. »Weise Eurydis! Wie haben unsere Vorfahren gelitten!«
»… was wir wussten. Hätte Saat auch dann den Verstand verloren, wenn er die Kraft des Gwel nicht entdeckt hätte? Selbst wenn Vanamel und Pal’b’ree diesem verfluchten Zwerg Lloïol nicht in die dritte Höhle gefolgt wären, hätte uns der Wahn des Goroners früher oder später ins Verderben gestürzt …«
»Freundin Corenn, ich verstehe das nicht«, unterbrach Bowbaq die Lektüre. »Was hat das alles zu bedeuten? Wer sind diese Leute?«
»Das sind die letzten Seiten des Tagebuchs«, erinnerte ihn Corenn. »Die Erklärung findet sich vermutlich im Hauptteil.«
»Jedenfalls geht das bis zum Ende so«, sagte Lana. »Offenbar waren unsere Vorfahren nicht allein im Jal’dara.«
Die Maz wartete kurz, ob noch jemand eine Frage hatte, und las dann weiter.
»… hätte uns der Wahn des Goroners früher oder später ins Verderben gestürzt, was vermutlich weit schlimmere Folgen gehabt hätte als den Tod des Magiers. Doch trotz der Verachtung, die wir für ihn empfanden, waren wir ihm zu Hilfe gekommen. Drei Männer hatten dabei ihr Leben gelassen. Drei Männer, die von ihrem Volk zu Botschaftern erwählt worden waren.
Ich habe kein Mitleid mit Vanamel, denn der Prinz aus der Uborre-Dynastie hat sein Schicksal verdient. Aber ich trauere um Ssa Vez aus Jezeba und Fer’t den Solener, zwei kluge und weise Männer, die unser Vertrauen gewonnen hatten und treue Gefährten geworden waren. Nol trauerte mit uns, als wir zu acht zu ihm zurückkehrten, nachdem wir zu zwölft ins Karu hinabgestiegen waren. Er gestand uns, dass er
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