Götter der Nacht
fand keine Worte, und so trat ich nach einer kurzen Abschiedsgeste und einem letzten Blick auf das wunderschöne Tal durch die Pforte.
Ich glaube, sie blieb noch eine Weile geöffnet. Aber während wir auf der kleinen lorelischen Insel durch kaltes Wasser wateten,
wollten wir unsere Melancholie nicht noch verschlimmern. Keiner warf einen Blick zurück auf das verlorene Paradies.
Herzog Reyan ging voran und führte uns ans Licht, wo wir für Arkane eine Bahre aus Ästen bauten. Tiramis war immer noch nicht bei Bewusstsein, als wir im Morgengrauen auf unsere Eskorten trafen, die seit sechs Dekaden am Strand auf uns warteten.
Das Ende der Geschichte ist bekannt. Unser Schweigegelübde brachte Ungnade und Leid über uns. Aber wir ertrugen all dies, ohne zu klagen. Es war nichts im Vergleich zu den Seelenqualen, die unser Geheimnis uns bereitete. Nichts im Vergleich zu dem grausamen Fluch, der auf uns lastete.
Das Jal’dara hatte uns in wenigen Dekaden in Gwelome verwandelt. Was wäre nach mehreren Monden mit uns geschehen? Oder gar nach mehreren Jahren? Ich wage kaum, es mir vorzustellen.
Der Gedanke an unsere verlängerte Lebensdauer vermochte uns nicht über den Verlust unserer Fruchtbarkeit hinwegzutrösten. Ich glaube, nach unserer Rückkehr versuchten wir alle, diesen Schicksalsschlag auf die einzig mögliche Art zu bekämpfen …
Vielleicht einmal abgesehen von Arkane. Der König von Junin hatte bereits einen Sohn, und anders als wir fügte er sich mit Gleichmut in sein Schicksal. Ich glaube, er starb als Erster, weil er keine Kraft mehr hatte, weiter zu kämpfen. Der Tod muss ihm wie eine Erlösung vorgekommen sein. Arkane war als König der Fürstentümer nach Ji gesegelt, und nach seiner Rückkehr war er nur noch ein einarmiger Greis, dem man den Thron geraubt hatte. Auch wenn wir anderen unter den gleichen Seelenqualen litten, waren wir zumindest körperlich unversehrt.
Bei den Emaz war ich auf taube Ohren gestoßen. Nun setzte ich alles daran, mir den Wunsch nach Nachkommen zu erfüllen. Nachdem ich mein Leben lang im Zölibat gelebt hatte, ging
ich den Bund mit Mièlane ein, einer ehemaligen Schülerin, und zog mit ihr nach Mestebien, fernab der Heiligen Stadt und der Erinnerungen, die sie wachrief. Meine junge Frau erfuhr nie etwas von meinem tragischen Abenteuer. Jedenfalls bis zum heutigen Tag. Ich bete zu Eurydis, dass es dabei bleibt. Ich bete darum, dass die Emaz, an die sich meine Niederschrift richtet, sie in Frieden lassen werden. Sie und meine Kinder.
Wir lebten fünf Jahre zusammen, bevor sie mir einen Sohn schenkte. Vielleicht hatte die Wirkung des Jal’dara mit der Zeit nachgelassen, vielleicht hatte Eurydis auch meine Gebete erhört. Bei unserer nächsten Zusammenkunft erfuhr ich, dass Tiramis und Yon ebenfalls ein Kind gezeugt hatten. Wir feierten diese Ereignisse ausgelassen, auch wenn Arkanes Tod unsere Freude überschattete.
Glücklicherweise erfüllte sich der Fluch der Unfruchtbarkeit nicht. Auch Reyan von Kercyan, Moboq aus Arkarien und Rafa Derkel bekamen Kinder. Wie kann man das Glück in Worte fassen, das uns nach Jahren der Angst bei der Nachricht jeder dieser Geburten überkam? Der Fortbestand unserer Familien war gesichert, und der Menschheit bot sich nun doch die Gelegenheit, eines Tages das Zeitalter von Ys zu erreichen. Nols Harmonie. Und sei es erst in ferner Zukunft.
Wären Vanamel und Pal’b’ree nicht ins Karu hinabgestiegen und wären sie den Undinen nicht begegnet, hätten wir nichts von unserer Verantwortung erfahren. Vielleicht wäre das besser gewesen, denn das Geheimnis des Jal’dara lastete ohnehin schon schwer genug auf uns. Doch da wir nun einmal davon wussten, frohlockten wir angesichts der Geburt einer neuen Generation.
Unsere einzige Angst war, dass auch unsere Nachkommen Gwelome sein könnten. Würden auch sie unter dem Fluch zu leiden haben?
Ich gehe nicht davon aus, dass ich länger als gewöhnlich leben
werde. Ich werde meine Enkel nie kennenlernen, sollte es welche geben. Mögen unsere Erben ein glückliches Leben führen und von Leid verschont bleiben. Mögen sie die eurydische Moral achten und das Andenken ihrer Vorfahren bewahren.
Wir werden nie mehr ins Jal’dara zurückkehren. Aber wir werden die Pforte jedes Mal, wenn sie am Tag der Eule in Erinnerung an unsere Reise aufscheint, unseren Söhnen und Töchtern zeigen.
Wir werden den Götterkindern beweisen, wie sehr wir sie lieben. Und wie ähnlich wir ihnen sind.«
»Ich
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