Götter der Nacht
aus. Tiefe Finsternis umgab ihn. Trotzdem raubte ihm das nicht die Sicht, denn er konnte sich im Dunkeln fast ebenso gut orientieren wie bei Tageslicht. In den hundert Jahren, die er unter der Erde herumgeirrt war, hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und seine magischen Fähigkeiten taten ein Übriges.
Saat zog einen seiner Kettenhandschuhe aus und strich mit gichtigen Fingern über den Stein, den die Sklaven aus dem Berg geschlagen hatten. Er stammte aus demselben Gebirge … Doch es war nicht dasselbe Gestein. Das aus der Unterwelt des Karu war schwärzer, wärmer und trug mehr Kraft in sich. Die Kraft des Gwel, selbst dort unten noch. Sogar in der Tiefe.
Saat war versucht, einige Steine aus der Wand zu brechen und ein Gwelom aus ihnen zu erschaffen, falls sie sich dafür eigneten. Doch das war eher unwahrscheinlich. Außerdem hatte er anderes zu tun.
Er streifte den zweiten Handschuh seiner Rüstung ab, nahm den Brustpanzer, die Schulterstücke und die lächerliche Degenscheide ab, die ihm quer über der Brust hing, ein Zugeständnis an die Gladoren, seine Leibgarde. Auch sein eigenes Schwert und den Dolch legte er beiseite und zog sich schließlich vollständig aus.
Wie üblich nahm er seinen Helm als Letztes ab. Langsam und vorsichtig hob er das Gwelom an und genoss mit unbändiger Freude diesen kurzen Moment der Befreiung, die Luft, die ihm über Kinn, Mund, Wange und schließlich das ganze Gesicht strich.
Am liebsten hätte er den Helm in die Ecke geschleudert und sich allen mit entblößtem Haupt gezeigt. Doch das wagte er noch nicht - aus einem Rest Mitgefühl heraus, der hoffentlich mit der Zeit verschwinden würde.
Er holte tief Luft. Das Geräusch seiner rasselnden Lungen war ihm zuwider. Manchmal verglich er sich selbst mit einem japsenden Hund. Immerhin konnte er unter dem Helm verbergen, wie viel Mühe es ihn kostete, am Leben zu bleiben.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich einen Moment lang auf die Kraft, die ihn durchströmte und sein Herz und seinen ganzen Körper erwärmte. Sie genoss er noch mehr als das Gefühl, frei atmen zu können. Seine Muskeln und Gelenke lockerten sich, und wohlig seufzend straffte er die Schultern. Er hatte diesen Moment schon tausendmal erlebt, doch die Freude über die wiedererlangte Kraft war jedes Mal wieder berauschend.
Er trat an sein Bett und kniete sich auf die weichen Felle, die es bedeckten. Auf dem Bett lag Chebree, nackt, reglos und stumm. Ungeduldig. Sie wollte das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Saat legte ihr eine Hand auf die Stirn und strich ihr über das Gesicht. Chebree durchlief ein Schauer, und ihr Atem stockte. Nicht aus Begehren, sondern weil es sie vor der Berührung des hohen Dyarchen graute. Seine faltige Haut war so dünn, dass man die Knochen hindurchschimmern sah, und er roch nach Erde und Tod.
›Unsere Feinde haben Zweifel, mein Freund‹, sagte Sombre, der plötzlich in seine Gedanken eingedrungen war.
Saat verschloss sogleich einen Großteil seines Geistes. Das tat er schon so lange und mit solcher Routine, dass der Gott es nicht einmal bemerkte.
›Was tun sie gerade?‹, fragte der Magier, während er die wallattische Priesterin küsste.
›Sie sprechen miteinander. Sie stellen Vermutungen an. Sie werden Nol treffen.‹
›Der Alte wird ihnen keine große Hilfe sein‹, sagte Saat und verlagerte sein Gewicht. ›Außerdem, wie wollen sie überhaupt zu ihm gelangen?‹
›Durch die Pforte von Sol. Sie werden sie öffnen.‹<
›Woher weißt du das?‹, fragte Saat. ›Du kannst nicht in die Zukunft sehen.‹<
›Sie werden sie öffnen. Wir sollten sie töten.‹<
›Hab Geduld, mein Freund. Sollen sie doch nach Sol gehen. Sollen sie dem Ewigen Wächter gegenübertreten. Von mir aus können sie auch ruhig den Alten treffen. Was macht das schon?‹
›Nol wird ihnen von dem Erzfeind erzählen.‹<
Saat zögerte kurz. ›Das wird ihnen auch nicht helfen. Ich schicke ihnen die Gladoren auf den Hals. Ob sie nun Nol aufsuchen oder nicht, sie werden so oder so in die andere Welt übergehen!‹<
Sombre schwieg eine Weile. ›Du solltest mir erlauben, sie zu töten‹, sagte er schließlich wütend.
›Das ist viel zu gefährlich, mein Freund. Wenn einer dieser Männer der Erzfeind ist, könnte er dich …‹<
›Aber ich will nicht länger warten‹, fiel ihm Sombre ins Wort und verließ seinen Geist.
Saat blieb mit seinen Gedanken allein, während er sich auf Emaz Chebree
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