Götter der Nacht
einen Sinn.
»Warum hat er das getan?«, fragte Grigán. »Durch diesen Akt beeinflusst er die Zukunft.«
»Usul hat niemals von sich behauptet, tatenlos bleiben zu wollen«, sagte Lana nicht minder aufgeregt. »Er hat keinen Einfluss auf das, was außerhalb seiner Höhle geschieht. Deshalb bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Besucher zu manipulieren.«
»Er langweilt sich furchtbar«, bestätigte Yan. »Er hat uns geholfen, weil ihm das Ablenkung verschafft.«
»Was auch immer der Grund gewesen sein mag«, sagte Corenn, »wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet. Rey, seid Ihr jetzt überzeugt?«
Rey standen die Zweifel ins Gesicht geschrieben, und er dachte lange nach, bevor er antwortete. Zu viele Teile dieses Plans entzogen sich seiner Kontrolle, und das gefiel ihm nicht. »Grigán, was haltet Ihr davon?«, fragte er schließlich. »Findet Ihr nicht auch, dass es viel zu riskant ist?«
Grigán sah vom Lagerfeuer hoch und musterte seine Gefährten. Derart schwer war ihm noch keine Entscheidung gefallen. Seiner Meinung nach war die Gefahr gleich groß, egal was sie taten.
Doch wenn er nach Wallos ritt, würde er Corenn zurücklassen müssen. Dieser Gedanke gab den Ausschlag.
»Wir reisen ins Land Oo«, verkündete er. »Wenn wir dort nicht weiterkommen, werde ich Saat aufsuchen. Und zwar allein.«
Alle nickten, erleichtert und verzagt zugleich. Den Rest der Nacht quälte sich Yan mit der Frage herum, ob sie sich vielleicht für den falschen Weg entschieden hatten und
doch nach Wallos gehen sollten. Wie musste sich Usul amüsieren!
Es waren noch neun Tage bis zum Tag des Bären, kaum genug, um ins Land Oo in der Solenischen Föderation zu reiten, ohne ihrem Feind in die Hände zu fallen. Dort angekommen würden sie zudem nach der Pforte suchen müssen.
Die Erben hatten nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo sich die Pforte befand. Das Manuskript, das Yan im Tiefen Turm gefunden hatte, gab zwar einige Hinweise, verschwieg aber, wie man genau dorthin gelangte. So wussten die Erben nur, dass sie die Ruine eines Bergfrieds finden mussten, die sich irgendwo im Wald der Baumriesen befand. Die Pforte sollte in der Nähe sein.
Sie konnten nur hoffen, dass sie weniger gut versteckt war als die auf Ji.
Rey folgte den anderen zwar, ließ aber keine Gelegenheit aus, seinem Unmut Luft zu machen. In seinen Augen wurde er in ein lebensgefährliches Abenteuer hineingezogen, und so ließ er seiner Widerspenstigkeit freien Lauf. Eines Abends sprach er sogar davon, die Erben verlassen zu wollen, wenn sie im Jal’dara nichts erreichten. Alle fassten die Ankündigung als Scherz auf, und er widersprach ihnen nicht. Doch am nächsten Tag brachte er die Sache Lana gegenüber erneut zur Sprache und bat sie, ihn zu begleiten oder zumindest irgendwo auf ihn zu warten.
»Aber wo sollen wir denn hin, Reyan?«, fragte sie, um ihn zur Vernunft zu bringen. »Wir können uns nirgends verstecken. Saat ist mächtig genug, um uns überall aufzuspüren.«
»Ihn will ich als Erstes aufsuchen«, vertraute er ihr an. »Es ist nicht meine Art, andere meine Probleme lösen zu lassen. Grigán will allein zu ihm - soll er doch. Ich werde es genauso halten. Mal sehen, wer als Erster in Wallos ankommt«, sagte er mit einem schiefen Grinsen.
»Das ist doch kein Wettrennen, Reyan!«, rief Lana entsetzt. »Ich bitte Euch, versprecht mir, keine Entscheidung zu treffen, bevor wir Nol begegnet sind.«
»Euretwegen verspreche ich es. Ich warte mit meiner Entscheidung bis zum Land Oo. Aber dann … Vor uns liegen keine Geheimnisse mehr, die wir enthüllen müssten, Lana. Die Erben können nicht einfach immer weiter durch sämtliche Königreiche reiten, während Saat seine Armee in den Krieg führt. Ich wäre bereit, mein Leben für jeden unserer Freunde zu opfern, nicht aber für ihre Fehler. Wir müssen diese sinnlose Suche aufgeben und endlich zur Tat schreiten. Natürlich wäre es mir lieber, wenn sich die anderen mir anschließen würden. Aber ich werde meine Meinung nicht ändern, selbst wenn das heißt, dass ich allein losziehen muss. Grigán ergeht es vermutlich nicht anders.«
Seine Worte trafen die Maz mehr, als Rey gewollt hatte. Er mochte ja recht haben, aber der Gedanke, Grigán, Corenn, Bowbaq, Léti und Yan zu verlassen, trieb ihr die Tränen in die Augen, und eine Trennung von Reyan wäre nicht minder schmerzhaft.
Am fünften Tag, als sie sich dem Col’w’yr, dem Grenzfluss des Königreichs Thalitt,
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