Götter der Nacht
auf Usuls Insel benutzt hatte, und empfand dabei vage Furcht. Obwohl er alles andere als abergläubisch war, begann er, auf seine Vorahnungen zu achten. In den zwei Monden ihrer abenteuerlichen Reise hatte er viel gelernt. Genau dieses Gespür hatte sich Grigán in den vergangenen zwanzig Jahren zugelegt.
»Reyan, Ihr wollt doch nicht etwa allein dort hoch?«, rief Lana.
»Jedes Mal, wenn wir in einer Herberge übernachteten, träumte ich davon, diese Worte von Euch zu hören«, scherzte er. »Und ausgerechnet jetzt, im ungünstigsten Moment, fangt Ihr damit an …«
Die anderen stiegen nun ebenfalls ab und sahen ihrem Freund bei seinen Vorbereitungen zu. Im Grunde beschränkte
er sich darauf, überflüssigen Ballast abzulegen und sich das Seil fest um den Oberkörper zu knoten.
»Wartet auf mich, bevor Ihr Saat tötet!«, rief er zu ihnen herunter, während er sich an dem Stamm hochzog. Sechs Schritte weiter oben verschwand er aus dem Blickfeld seiner Freunde.
Wie vermutet bereitete das Klettern Rey keinerlei Schwierigkeiten. Es erinnerte ihn an seine nächtlichen Ausflüge in Lorelia, als er im Haus seiner Familie aus dem Fenster geklettert und über den Hof geschlichen war. Zumindest war die Wahrscheinlichkeit gering, hier über die Leiche seines Cousins zu stolpern, dachte er.
Obwohl er gern prahlte, war er alles andere als leichtsinnig, und so achtete er sorgfältig darauf, das Seil alle vier bis fünf Schritte an einen dicken Ast zu knoten. So kam er zwar nur langsam voran, aber zumindest würde er nicht bis zum Waldboden hinabstürzen, falls er abrutschte oder das Gleichgewicht verlor.
Anfangs hatte er sich noch mit den anderen unterhalten, doch irgendwann war das Gespräch von selbst abgerissen. Außerdem brauchte Rey all seinen Atem. Zwar gab es genug Äste und Schlingpflanzen, an denen er sich festhalten konnte, doch die Kletterpartie kostete ihn trotzdem viel Kraft.
In ungefähr fünfzehn Schritten Höhe schienen sich die Schlingpflanzen endlich zu lichten. Mit Entsetzen musste er gleich darauf jedoch feststellen, dass sie immer dichter wurden. Bald geriet er in eine regelrechte Sackgasse, aus der er sich nur mithilfe des einzigen Dolchs, den er mitgenommen hatte, befreien konnte.
Eine Ebene höher tummelte sich das Leben. Hier bildeten die Pflanzen einen unebenen Teppich, in dem sich Insekten, Vögel, Nagetiere und sogar einige Reptilien eingenistet hatten. Als Rey über ihre Welt hereinbrach, ergriffen die Bewohner die Flucht.
Er unterdrückte seinen Ekel und kletterte immer weiter hinauf, womit er für Aufruhr unter dem Getier sorgte, das in dieser luftigen Höhe lebte. Die widerlichsten Tiere waren kleine, scheue Schlangen, die sich zwischen den Blättern verbargen, und zahlreiche Insekten, die nichts Besseres zu tun hatten, als Rey ins Gesicht zu fliegen. Doch nachdem er eine Weile wild mit seinem Dolch herumgefuchtelt und zahlreiche Flüche ausgestoßen hatte, erreichte Rey endlich einen Punkt, von dem aus er die Umgebung überblicken konnte.
Im ganzen Land Oo sah er keine Anzeichen für menschliche Besiedlung. Nirgends stieg Rauch auf, und es waren keine Häuser zu erkennen, nicht einmal Ruinen aus vergangenen Zeiten. Andererseits standen die Bäume so hoch, dass er es nicht mit Sicherheit sagen konnte. Irgendwo dort unten musste sich zumindest die Ruine eines Bergfrieds befinden. Und in seiner Nähe die Pforte ins Dara.
Leider gab es Unmengen von Bäumen, die groß genug waren, um infrage zu kommen. In seiner Verzweiflung blieb Rey nichts übrig, als sich den Standort von einigen in der näheren Umgebung einzuprägen, indem er sich merkte, wie sie zur Sonne standen.
In diesem Moment spürte er einen stechenden Schmerz in der Wade.
Eine Schlange biss ihn mit der ganzen Kraft ihrer Kiefer ins Bein. Es handelte sich nicht etwa um eine dieser kleinen grünen, braunen oder grauen Schlangen, die bislang
vor ihm geflohen waren, sondern um ein langes, armdickes Reptil mit einem seltsamen Kragen am Hals, das ihn mit kalten Augen anstarrte.
Rey beugte sich nach unten, wobei er fast das Gleichgewicht verloren hätte, und rammte ihm seinen Dolch in den Kopf, während er vor Schmerzen die Zähne zusammenbiss. Wenn er keine Stiefel getragen hätte, hätte das Tier ihm den Knochen zermalmt.
Trotz der klaffenden Wunde im Kopf wand die Schlange ihren schuppigen Körper um Reys Fuß. Er strampelte heftig, um sie abzuschütteln.
Plötzlich hörte er ein lautes Rascheln.
Ein einziger
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